East of High School

Fünf hübsche Schwestern, viele neugierige Jungs, ein Kollektivselbstmord. „The Virgin Suicides“ ist ein gelungener Film über eine rätselhafte Pubertät

von JUTTA PRASSE

Alle hatten sie so langes blondes Haar, alle waren sie so hübsch, die fünf Lisbon-Schwestern. Die Jüngste dreizehn, die Älteste siebzehn, immer zusammen und in ihrer Einheit fast ununterscheidbar für die Jungs aus der Nachbarschaft, die im Schaten dieser üppigen Mädchenblüte ihre Pubertät absolvierten. Zwanzig Jahre ist das her, die Vorstadtidylle der frühen Siebzigerjahre in Michigan ist den sich damals gerade ankündigenden wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen gewichen, längst sind die kranken Ulmen gefällt, deren bedrohtes Leben die Schwestern einst so zäh verteidigten – kurz bevor sie ihr eigenes Leben wegwarfen. Das Jahr, in dem die fünf Lisbon-Mädchen sich umbrachten, hat einen Krater in die Erinnerung der Jungen von damals geschlagen; wenn sie heute als erwachsene Männer zusammenkommen, kreisen ihre Gespräche zwanghaft um das Unfassliche, im immer wieder vergeblichen Versuch, sich die traumatischen Vorfälle zu erklären.

Wie im Roman von Jeffrey Eugenides, nach dem Sofia Coppola ihren Film „The Virgin Suicides“ gedreht hat, erzählt eine chorale Männerstimme von den Ereignissen aus der Perspektive der Nachbarsjungen, deren begehrlichen, hilflos faszinierten Blicken auf die Mädchen die Kamera folgt. Wir sehen von ihnen nur, was die Jungen von außen beobachten oder was ihnen von den wenigen berichtet wird, denen es einmal gelungen ist, ins Innere des Hauses der Lisbons vorzudringen. Denn dieses typisch amerikanische, spießige Einfamilienheim mit Vaters Werkraum im Kellergeschoss, dem Wohnzimmer mit billiger Couchgarnitur, Fernseher, Goldfischglas und der Teppichbodentreppe, die zu den Zimmern der Mädchen führt, ist eine klaustrophobische Festung der streng katholischen Eltern gegen die Verführungen der Außenwelt. Dabei steht Mr. Lisbon (James Woods), High-School-Lehrer, ein schwacher, kontaktarmer Mann, seinem Tochtersegen hilflos gegenüber und führt aus, was seine starre, reizlose Frau (mutig gespielt von einer dick gewordenen Kathleen Turner) anordnet.

„Waren Sie einmal ein dreizehnjähriges Mädchen?“, fragt Cecilia nach ihrem ersten Selbstmordversuch im Krankenhaus den Arzt, der meint, sie sei doch noch viel zu jung, um zu wissen, was wirklicher Schmerz ist. Der Psychologe (Danny DeVito) stößt bei ihr nur auf eine Wand höflichen Widerstands und rät den Eltern, ihre Kinder mehr mit Gleichaltrigen umgehen zu lassen. Und so kommt es zu der ersten und einzigen Party im Lisbon-Haus, deren verlegen steife, von den Eltern überwachte Geselligkeit jäh und auf unvergessliche Weise enden soll. Warum haben nach Cecilias Suizid die übrig gebliebenen vier Schwestern nicht gegen das mütterliche Regiment rebelliert? Warum sind sie wie ein Wurf junger Kätzchen zusammengekrochen und haben sich, als die Unternehmungslustigste von ihnen anlässlich eines Schulballs über die Stränge schlägt, aus der Schule nehmen und zu Hause einsperren lassen? Warum nehmen sie am Ende Telefonkontakt zu den Nachbarjungen auf, nur um sich dann, alle zusammen, endgültig zu entziehen?

Das Geheimnis wird nicht gelüftet. Nur so viel ist am Ende gewiss: Die Freiheit, die die Lisbon-Schwestern suchten, war nicht von dieser Welt. Sie lag jenseits ihrer High-School-Welt der Zahnspangen, Blümchenballkleider, Ansteckbuketts, heimlich gerauchten Zigaretten und Pfirsichlikörs – und auch jenseits der ersten sexuellen Begegnungen mit den mehr oder weniger tölpelhaften Vertretern des anderen Geschlechts, die davonlaufen, wenn sie ans Ziel gekommen sind.

Diese Teenagerwelt ist im Film zu sehen, in der elegischen Komik der Rückblende auf die unwiederbringliche Übergangszeit voller Erwartungen, Unsicherheiten und Enttäuschungen, wie wir sie auch aus anderen Filmen kennen. Aber durch die Unwahrscheinlichkeit, Unerhörtheit der Geschichte, die sich in dieser banalen, sattsam bekannten Welt zuträgt und über deren psychologische Gründe es nur Mutmaßungen gibt, gelingt etwas Überraschendes. In der Ratlosigkeit der faszinierten Jungen angesichts dieses überwältigenden Kollektivs adoleszenter Weiblichkeit taucht – unsichtbar, aber für immer verunsichernd – die Sphinx auf, das alte Rätsel, das das Weibliche für den Mann darstellt. Ein kleiner, schöner Film über ein großes Thema.

„The Virgin Suicides“. Regie: Sofia Coppola. Mit Kirsten Dunst, Josh Harnett, Hanna Hall, Kathleen Turner, James Woods u. a. USA 2000, 97 Min.