die stimme der kritik
: Betr.: Pietät post mortem

Tot sein ist immer gefährlich

Ja, diese USA. Schon gibt es Vorhersagen, George Bush werde die Präsidentenwahl mit ziemlich genau 170 Stimmen Vorsprung gewinnen. Weil er als cleverer und weitsichtiger Politiker seine 170 texanischen Hinrichtungsopfer vorher noch schnell briefwählen ließ. Ja, Politik geht über Leichen. Kein Respekt mehr vor den Toten. Es steht schlimm.

Auch bei uns. Und auch aus Gründen der Wahl. Früher wurde man im Ablebensfalle automatisch in echte deutsche Eiche gesteckt und pietätvoll untergeschaufelt. Dann kam die freie Auswahl durch mannigfaltiges Teufelszeug: Verbrennen? Anonym- oder Seebestattung? Dazu Billigsärge aus Billigländern, klapprig oder aus Pappe. Neulich noch klagte darüber bitterlich die deutsche Sargtischlerbranche, die zudem 1999 einen drastischen Rückgang der Totenzahl zu betrauern hatte.

Jetzt wird es noch schlimmer. Der Düsseldorfer Landtag diskutierte über einen Trend, den die taz zwar schon vor drei Jahren exklusiv ins Licht des Lebens stellte, der jetzt aber um sich zu greifen scheint: Angehörige wollen zunehmend die Asche ihrer Liebsten daheim im Blechtopf (Letzter Wille: „Ich werde eine Dose“) auf Kaminsims oder Nachttischschränkchen stellen. Oder den Ex im Amulett mit auf Reisen nehmen. Ihm auch danach nah sein.

Warum nicht? Woanders, etwa in Holland, dem kleinen Vorbildnachbarn, ist die Heimatruhe neben dem Kuschelsofa längst erlaubt. Andere lassen sich im Irgendwo vom Wind verwehen, per Feuerwerksrakete in den Himmel schießen oder auf dem Fußballplatz ihres Lieblingsclubs verstreuen. Aber in Deutschland wird Horror verbreitet: Was, so die sterblichen NRW-Volksvertreter, wenn die staubwedelnde Putzfrau übereifrig ist, wenn beim Umzug die Urne vergessen wird oder in der gelben Tonne landet? Von Pietät war viel die Rede und von christlicher Würde, quer durch alle Parteien. Wenig von den kalten deutschen Entsorgungsdeponien mit Namen Friedhof.

In der taz vom 25. 11. 97 stand auch, wie man deutsche Bestattungsgesetze per Leichentourismus und Re-Import der Asche austricksen kann. Und schon vor über 30 Jahren konnte jedermann vom großen Kabarettisten Wolfgang Neuss lernen, wie schlimm es auch im deutschen Normalfall enden kann. Neuss wohnte neben einem Krematorium und warnte seine Mutter immer vor dem Staubwischen auf dem Balkon: „Hier nicht, sonst wirfste noch jemand runter.“

Tot sein ist immer gefährlich.

BERND MÜLLENDER