Die Farbe des Geldes

von NICK REIMER

Es ist ein bisschen wie Poker. Bevor die Zocker die Spielbank betreten, präparieren sie sich. Allerdings bestehen die Vorbereitungen im vorliegenden Fall nicht im Kartenzinken. Würde auch nichts bringen: Das Spiel heißt nämlich Bund-Länder-Finanzausgleich, die Partie Solidarpakt II. Der Einsatz liegt bei 80 Milliarden Mark jährlich.

In Magdeburg treffen sich heute die ostdeutschen Regierungschefs, um ihre Spielstrategie abzusprechen. Wissenschaftliche Arbeiten, Kassenstürze, Fachkonferenzen dienten ihnen als Vorbereitung. Klingt nicht besonders spannend. Ist es aber: Es geht um nichts Geringeres als die Zukunft des bundesdeutschen Föderalismus. Um die Frage, ob sich Deutschland weiterhin 16 Bundesländer leisten kann; ob nicht besser einige Bundesländer zusammengeschlossen werden sollten.

Auftakt der Partie

Eröffnet hat die Partie im letzten Jahr das Bundesverfassungsgericht. Nach der Klage der Geberländer Bayern, Hessen und Baden-Württemberg entschieden die Karlsruher Richter: Der föderale Finanzausgleich – eine Art Unterstützerkasse für die ärmeren Bundesländer – muss neu geregelt werden. Und zwar komplett. Vor allem den ostdeutschen Ländern kam das Urteil gelegen. Schließlich läuft 2004 der Solidarpakt aus, muss über einen Nachfolgepakt verhandelt werden. „Durch ihr Urteil haben die Richter einen Verhandlungsdruck geschaffen, den die ostdeutschen Länder erst hätten schaffen müssen“, sagt Thomas de Maizière, Chef der Sächsischen Staatskanzlei.

Bund und Länder haben sich auf einen straffen Zeitplan festgelegt: Bis Ende des Jahres soll der Entwurf eines Gesetzes vorliegen, das die Grundsätze der Umverteilung zwischen Bund und Ländern, zwischen reichen und armen Regionen festlegt und transparent macht. Eckpunkte gibt es bereits.

Der Osten will gewinnen

Ist das Gesetz verabschiedet, soll das eigentliche Finanzausgleichsgesetz auf den Weg gebracht werden. Spätestens bis zur nächsten Sommerpause soll der politische Teil abgeschlossen sein, der eigentliche gesetzgeberische, also fachliche Teil Ende kommenden Jahres. Die Eile ist verständlich: Erklärtermaßen wollen alle Beteiligten das polarisierende Thema aus dem Bundestagswahlkampf raushalten. Der aber läuft Anfang 2002 gerade an.

Wichtigster Programmpunkt heute in Magdeburg ist die gemeinsame Verhandlungsstrategie der Ostdeutschen. Ausgearbeitet haben diese die Chefs der ostdeutschen Staatskanzleien und Berlins. Im Vorfeld der Konferenz nannte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) schon mal die Eckdaten, die mit den Westländern und der Bundesregierung verhandelt werden sollen: „Der neue Solidarpakt muss von der Höhe und Zusammensetzung wie der Solidarpakt I laufen.“ In Zahlen ausgedrückt: Laufzeit zehn Jahre, jährliche Höhe 40 Milliarden Mark.

Grundlage dieser Forderung ist die Arbeit der fünf renommiertesten deutschen Wirtschaftsinstitute, die im Auftrag der Ostländer den „teilungsbedingten Nachholebedarf“ beziffern sollten. Ergebnis ihrer Arbeit: Der Osten braucht noch 400 bis 500 Milliarden Mark. Als diese horrende Summe Ende März vorgestellt wurde, gab es zwar erschrockene Gesichter. Doch selbst die westdeutschen Länder zogen sie nicht in Zweifel. Die Bundesregierung bezeichnete das Ergebnis gar als „seriöse Grundlage“ für die heute beginnenden Verhandlungen.

Den mit 300 Milliarden Mark größten Posten des „teilungsbedingten Nachholebedarfes“ ermittelten die Wirtschaftswissenschaftler auf dem Infrastruktursektor – also etwa Verkehr, Abwasser- und Trinkwassersysteme. Nicht enthalten sind Mittel, die der Bund für seine Zuständigkeiten berappen muss – Schiene, Autobahnen, Wasserstraßen. Die Gutachter gehen von weiteren 45 Milliarden Mark aus. Derzeit erreicht die Ost-Verkehrsstruktur im Vergleich zu den westdeutschen Flächenländern durchschnittlich gerade mal 50 Prozent. Dank der Milliarden, die noch bis zum Auslauf des Solidarpaktes I bis Ende 2004 gezahlt werden, wird dieser Wert dann 70 Prozent erreichen.

Für regionale Wirtschaftsförderung ermittelten die Wirtschaftswissenschaftler 100 Milliarden Mark, um den „Nachholebedarf“ abzubauen, zudem eine „weitere Finanzierung des zweiten Arbeitsmarktes auf hohem Niveau“. Hinzu kommen jährlich 10 Milliarden Mark, um die kommunale Steuerschwäche auszugleichen. Macht in den nächsten zehn Jahren noch einmal 100 Milliarden Mark.

Taktik gehört dazu

Rechnerisch etwa 500 Milliarden Mark Bedarf also. Thomas de Maizière, der die ostdeutschen Bemühungen zum Solidarpakt II koordiniert, weiß, „dass nicht alle Bedarfe befriedigt werden“. Der Chef der Sächsischen Staatskanzlei stellt allerdings klar, dass man schon dann weit unter dem Bedarf landen wird, „wenn wir bei dem derzeitigen Finanzniveau bleiben“.

In jedem Fall wollen die ostdeutschen Länder verhindern, dass ihre Situation mit der strukturarmer westdeutscher Regionen vermischt wird. De Maiziére: „Das schwächste ostdeutsche Land – Sachsen-Anhalt – kann immerhin nur 43 Prozent seiner Ausgaben durch sein eigenes Steueraufkommen decken.“ In Sachsen – dem ostdeutschen Primus – liegt die Steuerdeckungsquote bei 50 Prozent. Der Durchschnitt aller westdeutschen Flächenstaaten kommt hingegen auf 75 Prozent, das schwächste Land – Rheinland-Pfalz – immerhin noch auf 65 Prozent.

Wie zu jedem ordentlichen Spiel gehören auch zu diesem taktische Züge. Als der rheinland-pfälzische Regierungschef Kurt Beck (SPD) jüngst den Vorsitz im Bundesrat übernahm, äußerte er gleich mal seine Forderung, die Mittel des Bundesverkehrsministers für den Osten „drastisch zu reduzieren“. Es könnten nicht mehr von vornherein 40 Prozent der Mittel nach Ostdeutschland fließen, auch im Westen bestehe schließlich „inzwischen ein erheblicher Nachholebedarf“. Verkehrsminister Klimmt konterte prompt, der Ausbau des Straßennetzes im Osten habe weiterhin Vorrang.

Klimmt eröffnete damit ein großes Gezerre um die Verteilung der UMTS-Milliarden für den Bahnausbau. Seine Verteilung gebe den Ostdeutschen keinen Grund zur Klage, so der Verkehrsminister. Schließlich liege ihr Anteil am Geldsegen „leicht über dem Anwohneranteil“.

Schröder als Croupier

Mit den Forderungen, die die Chefs der Ostländer heute in Magdeburg stellen werden, ziehen sie an den großen Spieltisch um. Dort treffen sie am 14. Dezember auf die Mitspieler aus dem Westen. Bundeskanzler Schröder hält die Bank.

Vier Gruppen werden sich gegenüberstehen. Im Hannoveraner Kreis haben sich die Nehmerländer des Bund-Länder-Finanzausgleichs organisiert. Lediglich Sachsen und Thüringen sind nicht dabei. Sie haben eine eigene – die zweite – Interessengruppe gebildet haben. Zudem treffen sich die Geberländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen zu eigenen Vorgesprächen. Nordrhein-Westfalen schwankt zwischen Hannoveraner Kreis und dem der Geberländer. Vierter – und entscheidender – Interessenvertreter am Spieltisch wird die Bundesregierung sein.

Mit den Ergebnissen der Dezemberrunde soll sich Ende Januar – vermutlich in Potsdam oder Mecklenburg – eine Sonderkonferenz befassen, an der alle deutschen Länderchefs, deren Finanzminister und die Bundesregierung teilnehmen. Termin und Positionen werden gerade abgestimmt. Diese Konferenz soll den Weg frei für das Finanzausgleichsgesetz machen.

Die heutige Konferenz wird zu einem Ergebnis kommen müssen. Sollten die Verhandlungen scheitern, wird der Bund einen eigenen Gesetzentwurf vorlegen, der dann im Bundesrat eine Mehrheit finden muss.

Dort stehen die Gewinnchancen für die Geberländer schlecht: Sie haben im Bundesrat genau 23 Stimmen – zu einer Sperrminorität fehlt eine Stimme. Finanzminister Manfred Eichel (SPD) aber würde bei seinem eigenen Gesetzentwurf kaum die Kassen der Geberländer entlasten, denn das fiele zu seinen Lasten aus.

Die ostdeutschen Länder wiederum haben im Bundesrat eine starke Position: Ohne sie können sich weder der Hannoveraner Kreis noch Bund oder Geberrunde durchsetzen. Und schließlich: Die Geberländer haben bereits angedroht, falls ihre Interessen nicht genügend berücksichtigt werden, ziehen sie wieder vors Verfassungsgericht.

Eine spannende Konstellation also. Zumal es so aussieht, als laufe den Handelnden die Zeit weg. Darin sieht Unterhändler de Maizière aber auch eine Chance: „Zeitdruck ist hilfreich, wir werden zu einem Ergebnis gezwungen.“ Bleibt das aus, könnten die Karten noch einmal ganz neu gemischt werden: Über die Zukunft der Bundesrepublik entscheiden dann die Richter.