Spuren der Laemmle-faemmle

13. Filmhistorischer Kongress der CineGraph: Die Deutsche Universal  ■ Von Tim Gallwitz

Hollywood 1915: Stolz eröffnet Carl Laemmle vor 20 000 Zuschauern das neue Studio Universal City. Als Teenager hatte Karl Lämmle das schwäbische Laupheim hinter sich gelassen, um in den USA sein Glück zu machen. Und selfmade ging es vom Buchhalter zum Motion Picture Tycoon. „Uncle Carl“ war, so kolportiert die Große Männergeschichte, ebenso „typisch“ deutsch wie schwäbisch: ein kleiner, rundgesichtiger, bebrillter Mann, mit tiefem Verstand und Gemüt. Dazu gesellte sich ein Familiensinn, der neben Verwandten des Blutes auch die des Geistes einschloss: eben die Laemmle-faemmle (family).

Nun ist die Filmforschungsinstitution CineGraph nicht eben dafür bekannt, die große Geschichte kleiner Männer zu schreiben. In der Tat wird es beim 13. Treffen internationaler Experten, das CineGraph ausrichtet, vor allem um Filmgeschichte gehen, die fast immer auch Firmengeschichte ist. Im Fokus stehen die Produktions- und Verleihstrategien der Universal und ihrer deutschen Tochter, und an ausgewählten Filmbeispielen, die zeitgleich im Metropolis zu sehen sind, sollen sie anschaulicher werden.

Nach der Stabilisierung der Reichsmark Mitte der 20er Jahre versprach der deutsche Markt für Hollywood wieder Gewinne in ernst zu nehmender Münze. Den Importbeschränkungen begegnete man mit Dependancen vor Ort. Die größte Herausforderung jedoch war der Ton. Als er noch nicht sprechen konnte, war der Film mit seiner universellen Bildersprache ein international kompatibles Medium. Nun drohte der Rückfall in nationale Beschränktheit. Doch schließlich rettete die Synchronisation sowohl eingefahrene Hörgewohnheiten als auch Exportchancen.

Nationale Geschmacksvorlieben behinderten nachhaltiger die volle Verwertbarkeit. Universal versuchte sich hier in kultureller Vermittlung. Der europäische Film galt – und gilt – den Amerikanern ja gern als zu artifiziell. Laemmle setzte auf Vereinnahmung und verpflichtete europäische Filmemacher in die USA. Gezügelt durchs Studio konnten sich diese kaum mehr künstlerisch vergaloppieren. Paul Leni etwa sorgte mit der Verfilmung des Broadwaykrimis The Cat and the Canary (1926) für Aufsehen. Der Vorläufer aller „old dark house mysteries“ prägte mit außergewöhnlichen Licht- und Bildeffekten den Horrorkanon des Studios in den 30ern. Kulturelle Nähe als Rezept: Back Street (dt.: Seitenwege des Lebens) von 1932, ein klassischer Weeper, spielt im deutsch-amerikanischen Milieu. Das gradlinige Melodram um eine Frau im Schatten des verheirateten Geliebten fotografierte Karl Freund, der Michael Ballhaus der 20er und 30er. Der Misserfolg des Films in Deutschland mag aber doch an geschmäcklerischen Differenzen gelegen haben. Denn die Heldin entscheidet sich für den Börsianer und Clark-Gable-Verschnitt Walter und gegen den biederen Autokonstrukteur Kurt.

Auch Universals Prestigeprojekt Im Westen nichts Neues war trotz seiner Oscars (Bester Film und Beste Regie) kein Erfolg beschieden. Lewis Milestones Remarque-Verfilmung traf 1930 nicht deutsche Befindlichkeit, sondern angeblich den letzten Rest des Wehrwillens. Nazis terrorisierten Kinos und provozierten das Verbot nach dem Motto „Ruhe und Ordnung auf der Straße sind mehr wert als ein Film“. Eine deutsche Lektion, die heute erinnert, rechtem Straßendruck keinen Zehbreit nachzugeben. Mit einem deutschen Berg, SOS Eisberg, lag Universal geschäftlich dann aber goldrichtig. Eigentlich ja grönländischer Abstammung, wird so ein Eisberg echt deutsch, wenn Arnold Fanck die Riefenstahl und den kernigen Sepp Rist drauf herumturnen lässt. Heldisches Übermenschentum im Spiel mit Naturgewalten schmettert eine Tonlage, die allzu gern gehört wurde.

Die Machtübernahme der Nazis bedeutete das Ende der Deutschen Universal. In den Folgejahren produzierte Universal noch in Österreich und Ungarn. Zwei Filme dieser Zeit von Hermann Kosterlitz mit Franziska Gaal (Kleine Mutti und Katharina – die Letzte) zählen zum Spannendsten des Programms. Erst 1932 kometenhaft zum Star geworden, muss-te die Ungarin Gaal Deutschland als so genannte Filmjüdin verlassen. Mit Kosterlitz drehte die unangepasste Schauspielerin flotte und freche Screwball-Komödien, in denen sie als gewitzt-emanzipierte Frau brilliert.Kosterlitz war es auch, der Universal vor dem Ruin rettete. Seine erste Hollywoodarbeit Three Smart Girls (1936) mit der erst 14jährigen Deanna Durbin wurde ein Sensationserfolg. Laemmle nutzte das nichts mehr. Sein Junior verschätzte sich mit High-Budget-Produktionen und die faemmle verkaufte Universal 1935.

Auf dem Eröffnungsprogramm steht Die steinernen Wunder von Naumburg (1932), ein „wunderbarer Beiprogrammsfilm, der für den Menschen geschaffen wurde, der sehenden Auges genießen will“, wie Kritikerpäpstin Lotte Eisner schrieb. Im Hauptprogramm folgt Ein steinreicher Mann (1930), eine groteske Komödie mit Curt Bois, der Antwort auf Buster Keaton.

Eröffnung Do, 19.30 Uhr; Kleine Mutti: Fr, 17 Uhr;Durchs Brandenburger Tor: Fr, 19.15 Uhr;Seitenwege des Lebens: Fr, 21.15 Uhr, Metropolis; weitere Filme siehe Programm