Namen für neue Geschäfte

Icann.event: Die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers veröffentlicht auf ihrer Jahresversammlung eine Liste von neuen „Top-Level-Domains“. Sex und Kinder gehen leer aus

von NIKLAUS HABLÜTZEL

Seit Montag saß das Direktorium der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers in Marina del Rey zuammen, um ein seit Monaten auf der Tagesordnung stehendes Problem zu lösen. Gestern, einen Tag vor Ende der Jahresversammlung, war es so weit. Die Icann verkündete, welche „generischen Top-Level-Domains“, das heißt Endungen für nicht länderspezifische Internetadressen, über die bekannten „.com“, „.org“ oder „.net“ hinaus zugelassen sein sollen. Es sind 14, deren Funktion mehr oder weniger deutlich dem Buchstabenkürzel zu entnehmen ist: „.biz“, „.web“, „.health“, „.geo“, „.union“, „.museum“, „.info“, „.air“, „.one“, „.co-op“, „.post“, „.event“ und für Inhaber privater Websites zur Auswahl: „.name“, „.nom“ oder „.perweb“.

Zum ersten Mal seit langem hat die selbst ernannte Internetverwaltung damit einen Beschluss von allgemeinem öffentlichem Interesse gefasst. Von den typischen Geburtswehen der Icann war aber auch er nicht frei. Heftig umstritten war schon vor Beginn der Tagung, ob die neuen Wahldirektoren bereits über die Frage der Top-Level-Domains mitstimmen dürfen. Eine Mehrheit des Direktoriums jedoch fand es verfrüht, die neuen Mitglieder mit derart schwierigen Fragen zu betrauen. Dass sie solide Fachkenntnisse über das Internet nachweisen mussten, um überhaupt zu dem Wahlexperiment zugelassen zu werden, galt noch lange nicht als hinreichender Kompetenzbeweis der Volksvertreter, wie ihn etwa der für politische Fragen zuständige Icann-Sprecher John McLaughlin schlicht für unabdingbar hält.

Tatsächlich sind es nicht die Internetwahlen, sondern technische Verwaltungsaufgaben, die der Icann eine gewisse Daseinberechtigung verschaffen. Das Direktorium hat denn auch alles dafür getan, die Top-Level-Domains, die ursprünglich bloß Maschinen wie Menschen die Orientierung im Netz erleichtern sollten, zum innersten Kern seines Herrschaftswissens zu machen. Neue Vorschläge mussten sowohl nachweisen, dass sie die Stabilität des Internets nicht gefährden, als auch, dass sie „realistischen Bedürfnissen der Wirtschaft“ und „fundierten Marktanalysen“ entsprechen.

Trotz solcher in byzantinischer Verlautbarungssprache formulierten Hürden hatten 44 Firmen die nötigen Papiere eingereicht – und eine Anmeldegbühr von jeweils 50.000 Dollar bezahlt. Die Investition lohnt sich, neue Top-Levels sind neue Einnahmquellen für Registrierungsfirmen. „Name.Space“, eine von ihnen, hatte sich etwa hundert mehr oder weniger einleuchtende Endungen von „.ads“ für Werbung bis „.zone“ – offenbar für beliebige spezielle Nutzergruppen – einfallen lassen.

Fast alle schieden schon in der Vorauswahl aus. Mal schien die wirtschaftliche oder die technische Kompetenz des Antragstellers, mal der praktische Nutzen nicht hinreichend erwiesen. Vor allem die oft geforderten Domains für Kinder und Sex fanden keine Gnade. Die Endung „.kids“ stelle eine wirtschaftlich nicht vertretbare Beschränkung des Angebots dar, und „.xxx“ für harte Pornografie sei zu „umstritten“, lauteten die Gegenargumente.

Selbst für so offenkundig verständliche Vorschläge wie „.law“ oder „.travel“ vermisste die Auswahlkommission hinreichende technische oder finanzielle Voraussetzungen. In Onlineforen hatte dieses Verfahren schon vor der Konferenz heftige Kritik ausgelöst. Wiederholt wurde der Verdacht laut, dass vor allem die Vorschläge finanzkräftige Registrierungsfirmen zum Zuge kamen, nicht zuletzt deswegen, weil Icann auf deren Lizenzgebühren angewiesen sei.

Ungeklärt ist bislang, welche Firmen mit der Registrierung der verbliebenen neuen Top-Level-Domains beauftragt werden. Noch bevor die Icann-Direktoren ihren Beschluss verkünden konnte, hatte sie die Realität schon wieder überholt. Eigenmächtig zog die Firma „VeriSign“, zu der auch der ehemalige Registrierungsmonopolist „Network Solutions“ gehört, einen rabiaten Schlussstrich unter die schier endlosen Diskussionen um Internetadressen. Seit vergangenem Freitag vergibt VeriSgin auch Domainnamen in chinesischer, japanischer und koreanischer Schrift.

Niemand hatte in der Icann bisher auch nur daran gedacht, die eiserne Regel zu verletzen, wonach Internetadressen nur die mit sieben Bit codierbaren Zahlen und Buchstaben des ASCII-Standards enthalten dürfen. Schleunigst wurde eine neue Kommission zur Prüfung dieses ganz und gar unamerikanischen Angriffs eingerichtet. Ihr Sprecher gab umgehend zu Protokoll, es handele sich hier um die „größte Änderung seit der Einführung des Internetprotokolls überhaupt“.

Wahrscheinlich hat er Recht. Nie zuvor war so deutlich geworden, dass die Vorherrschaft Amerikas im Internet trotz Icann zu Ende geht. Die chinesische Regierung hat bereits mehrfach gegenüber der Icann festgestellt, dass sie keiner ausländisch kontrollierten Firma oder Institution gestatten will, eigene Richtlinien durchzusetzen. Koexistierende, mehrsprachige Adressensysteme lassen sich daher auf Dauer wohl kaum vermeiden. Schon haben koreanische Registrierungsfirmen angekündigt, dass sie ab nächstem Jahr Adressen in koreanischer Schrift anmelden wollen – international lesbar sollen sie werden durch eine standardisierte ASCII-Umschrift. Ein ähnliches Verfahren soll auch die chinesischen Adressenzeichen von VeriSign mit dem Rest der Internetwelt kompatibel machen. Ein Sprecher räumte zwar ein, dass „die technische Infrastruktur noch fehleranfällig“ sei. Bis zum endgültigen Start des Systems zum Jahresende seien diese Probleme aber gelöst. Und weiter, mit unüberhörbarem Seitenhieb auf die selbst gemachten Probleme der Icann: „Wir wollen dem Netz nicht schaden, keine E-Mail wird verloren gehen.“

niklaus@taz.de