Das Publikum soll Schlüsse ziehen

Bei aller Kritik an der Konzeption wird den Ausstellungsmachern um Hannes Heer Seriosität im Umgang mit den historischen Quellen bescheinigt

aus Frankfurt am Main CHRISTIAN SEMLER

Der gestrige Aufmarsch der Matadore von der Historischen Kommission zur Überprüfung der Wehrmachtsausstellung in Frankfurt war wirklich beeindruckend. Prominente Kritiker wie Hans Ulrich Thamer und ebenso prominente Befürworter wie der Militärhistoriker Manfred Messerschmidt, insgesamt sieben Männer und eine Frau, hatten sich auf ein gemeinsames Gutachten verständigt und versammelten sich einträchtig zu dessen Präsentation. Die Kameras allerdings konzentrierten sich auf einen Mann, der gar nicht auf dem Podium Platz nahm: Jan Philipp Reemtsma. Mit artigem Dank nahm der Chef des Hamburger Instituts für Sozialforschung das hundertseitige Gutachten entgegen. Diese Aufmerksamkeit galt Reemtsma, dem Institutsdirektor, aber auch Reemtsa, dem Krisenmanager. Sein Institut war mit der Ausstellung, die über 900.000 Menschen gesehen hatten, die in zahlreichen Städten für erbitterte Kontroversen gesorgt hatte, zu nationalem Ruhm aufgestiegen.

Und er war es auch, der schließlich die Notbremse zog, als die Ausstellung in Misskredit zu geraten drohte. Bogdan Musial, der polnisch-deutsche Historiker, hatte bei einer Reihe von Fotos die dort abgebildeten Opfer dem sowjetischen Geheimdienst NKWD zugeordnet, nicht aber der deutschen Seite, wie die Ausstellung nahe legte. Reemtsma verordnete der Ausstellung eine Auszeit, berief die Kommission, heuerte schon mal ein junges Wissenschaftlerteam an, um eine Neukonzeption zu erarbeiten – und trennte sich von Hannes Heer, dem Leiter und Spiritus Rector der Ausstellung. Wegen unüberwindlicher Meinungsverschiedenheiten über die künftige Konzeption. Letzteres ein Vorgang, der nicht zum Gestus der Reue passt, in dem sich das Institut wegen früherer autoritärer Verhaltensweisen gegenüber Andersdenkenden übt.

Die Grundthese der Wehrmachtsausstellung, nämlich die teils führende, teils unterstützende Beteiligung der Wehrmacht an den Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung der besetzten Gebiete, an dem Judenmord und den Verbechen gegen die sowjetischen Kriegsgefangenen, ist richtig. Es ging nicht um Übergiffe und Exzesse, sondern um systematische Mitwirkung. Andererseits enthält die Ausstellung durch die Art ihrer Päsentation „allzu pauschale und suggestive Aussagen“. Es geht ihr weniger um die Besonderheiten des in der Sowjetunion geführten Vernichtungskrieges als um „die Wehrmacht“.

Bei der Überpüfung der Bild- und Textdokumente kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass Ungenauigkeiten und auch falsche Bildzuschreibungen unterlaufen sind. Generell aber wird den Ausstellungsmachern um Hannes Heer Intensität und Seriosität im Umgang mit historischen Quellen bescheinigt. Die Kommision empfahl, die Ausstellung gründlich zu überarbeiten und gegebenenfalls neu zu gestalten. Insbesondere solle sie Material präsentieren, die Schlussfolgerungen aber nach Möglichkeit dem Publikum überlassen. Zur Einbuße an Glaubwürdigkeit, die das Projekt erlitten habe, meinten die Gutachter, diese sei mehr auf den arroganten und summarischen Stil der Zurückweisung jeder Kritik zurückzuführen als auf die Ausstellung selbst.

Die nachfolgende Diskussion konzentrierte sich stark auf die Fotodokumentation der Ausstellung. Insgesamt kamen Friedrich Kahlenberg, der ehemalige Leiter des Bundesarchivs, und Cornelia Brink, Spezialistin für Geschichte und Theorie der Fotografie, zu dem Schluss, dass nur 10 Fotos falsch zugeordnet waren, davon zwei in Wirklichkeit Opfer des NKWD abbildeten. 5 Fotos zeigen Angehörige ausländischer Heere, die irrtümlich als Wehrmachtssoldaten angesehen wurden. Fotos, die Feldgendarmerie, SS- und SD-Angehörige zeigten, gehörten aber insoweit in die Ausstellung, als sie in den arbeitsteiligen Mordprozess einbezogen waren.

Kahlenberg und Brink stellten klar, dass sich die Macher in allen Fällen auf falsche Zuordnungen der Fotos in den Archiven gestützt hätten. Sie unterließen es allerdings, in jedem Fall auch nach Beweisstücken zu fahnden, die weiteren Aufschluss über die näheren Umstände der Fotografien hätten geben können: etwa durch systematischen Vergleich der Legenden in verschiedenen Archiven, die Untersuchung der Geschichte der Fotos und, soweit möglich, der Urheber. Kahlenberg unterstrich, dass erst die Auseinandersetzung mit den Fotos der Ausstellung die Defizite der deutschen Geschichtswissenschaft im Umgang mit der historischen Quelle Bild ans Tageslicht befördert habe.

Aus dem Kommissionsbericht wurde klar, dass die Wehrmachtsausstellung an Kriterien gemessen wurde, die bislang für kein derartiges Unternehmen galten. Werden sich auch die Fernsehdokumentationen des unsäglichen Guido Knopp diesen Maßstäben beugen müssen? Bange Fragen. Klar wurde aber auch, dass die Kommission mit dem Thesencharakter der Ausstellung einschließlich seiner Zuspitzungen nicht viel anzufangen wusste. Die Fallstricke einer historischen Präsentation zu zeigen, verschiedene Deutungen anzubieten, kritisches Bewusstsein gegenüber Dokumenten zu schärfen, wie es die Kommission vorschlug, wäre allerdings nicht der schlechteste Einfall. Er brauchte auch einer gehörigen Portion „Emotionalisierung“ nicht zu widersprechen.

Jetzt wartet alles auf Reemtsmas Antwort, anvisiert für nächste Woche auf einer Pressekonferenz in Hamburg.