Friedenstaube gegen Staatshooligans

■ Fans des FC St. Pauli pilgern am Sonntag auf „Friedensfahrt“ nach Oberhausen – ein Protest gegen die vor kurzem vorgefallenen polizeilichen Übergriffe in Nordrhein-Westfalen

Am Sonntagmorgen dürften sich am Hamburger Hauptbahnhof einige Reisende verwundert die Augen reiben: Eine Reisegruppe von 250 Fußballfans, manche schon die ers-te Bierdose in der Hand. Doch was sollen die Friedensfahnen, was die „Peace-Zeichen“ auf zerschlissenen Bettlaken?

„Für uns geht es zum vierten Mal innerhalb weniger Wochen nach Nordrhein-Westfalen“, erklärt Michael Thomsen, Fan-Betreuer des FC St. Pauli, den vermeintlichen Mummenschanz. „Da es besonders in Mönchengladbach derbste Übergriffe seitens der Polizei gab, wollen wir damit ironisch untermauern, dass man uns nicht zusammenzuschlagen braucht.“

Flugblätter, die den Beamten vor Ort die seltsame Montur erklären sollen, sind bereits gedruckt: „Bei unseren Spielen in NRW haben wir unangenehme Erfahrungen mit Ihren Kollegen und vielleicht auch mit Ihnen persönlich gemacht: Wir sind Fußball-Fans und kein Sicherheitsrisiko“, heißt es schwarz auf weiß. Thomsen und sein Kollege Hendrik Lüttmer, beide seit Jahren jedes zweite Wochenende als Fan-Betreuer auf Tour, können sich nicht erinnern, jemals „ein derartiges Maß an verbaler und körperlicher Gewalt“ (Lüttmer) wie in Mönchengladbach erlebt zu haben.

Bereits auf der Rückfahrt wurden die Opfer der Polizei-Willkür daher aufgefordert, ihre Erfahrungen zu Papier zu bringen. Die „Gedächtnisprotokolle“ (liegen der taz vor) wurden vergangene Woche an den Bundesgrenzschutz in Düsseldorf weitergeleitet. In dem Schreiben – eine Kopie ging unter anderem an den Deutschen Fußball Bund – erstattet Lüttmer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den zuständigen Einsatzleiter, der für die Eskalation der Ereignisse verantwortlich gemacht wird. Ein Hamburger Polizist, der versuchte, zwischen Fans und Einsatzleiter zu vermitteln, bestätigte vor Ort die Einschätzung der Fan-Betreuer: „Mit dem war nicht zu reden.“

Was war im Einzelnen vorgefallen? Nach dem Spiel riegelten die BGS-Beamten zunächst den Zugang zum Bahnhofsbereich für die mitgereisten 800 Hamburger ab: Ärgerlich, weil so der Erwerb von Getränken unmöglich gemacht wurde. Vor allem aber „völlig unnötig“, so Lüttmer, schließlich sei die Situation bis dahin völlig friedlich gewesen.

Fatalerweise wurde dann – das wird auch vom Fanladen nicht bestritten – eine Bierdose aus dem Spalier der St. Pauli-Fans geworfen. Die traf einen BGS-Beamten: „Eine unsinnige Tat, die nicht entschuldigt werden soll“, heißt es in Lüttmers „Gedächtnisprotokoll“.

Danach überschlugen sich die Ereignisse. Nach über zehn im Kern übereinstimmenden Zeugenaussagen kam es danach zu wahren Prügelorgien: Von „Tritten, Schlägen und Stößen mit Knüppeln auf Beine, Nacken und Nieren“, berichtet ein Fan. Jeder, der „nach St. Pauli-Fan aussah“, wurde „regelrecht in den Sonderzug geprügelt“, heißt es an anderer Stelle. Selbst, wenn er gar nicht aus Hamburg kam: Das Schicksal eines Fans aus Neuss, der von Mönchengladbach aus mit der S-Bahn nach Hause fahren sollte, war dem BGS offenbar gleichgültig: „Interessiert mich nicht“, beschied ein „Staatshooligan“ (Fanladen) seine Beschwerde negativ. Und versetzte ihm einen Schlag auf den Arm, bevor er in den Sonderzug nach Hamburg bugsiert wurde. Dazu Lüttmer: „Wenn schon das Treiben von Vieh in einen Güterwaggon als unwürdig angesehen wird, so stellt sich die Frage, welches Wort für ein ähnliches Vorgehen bei Menschen angewandt wird.“ Eine Frage, die weder DFB noch BGS bis heute beantworten wollten: Beide Institutionen konnten sich noch zu keiner Stellungnahme durchringen.

Christoph Ruf

Sonntag, 15 Uhr: Rot-Weiß Oberhausen – FC St. Pauli