Moos & Liebe – bitte abwaschbar

■ 2.500 Grabstellen hat der Friedhof Buntentor, der älteste in Bremen / Der Boden hier ist inzwischen satt: Nur noch Urnenbestattungen sind erlaubt

Mariechen. Ganz unten wächst der Name in einem feuchten Sandstein, fast ein Jahrhundert alt. Moos rankt von unten herauf. „Du Blume Gottes“ steht auf dem Stein, „viel zu früh.“ Mariechen.

Unter knotigen Linden, kräftigen Eichen, unter Trompetenbaum und Eschen stehen die Gräber von Menschen, die mal sehr geliebt wurden. Der Friedhof am Buntentorsteinweg ist der älteste und kleinste Friedhof Bremens. Engel aus Stein, Konturen nach jahrhundertelangem Wind und Regen zerflossen, Geige und ein schneckengleich gerolltes Horn – längst verklungene Musik begleiten Menschen, deren Namen längst nicht mehr zu entziffern sind.

„Irgendwann“, sagt Herbert van der Linde und schaut auf einen Punkt in der Ferne, durch gelbes Laub, feuchtes Gras und Steine hinweg, „irgendwann will die Erde nicht mehr.“ Herbert van der Linde verwaltet für Stadtgrün die Friedhöfe Huckelriede, Huchting und eben Buntentor. „Verwesungsmüde“ sagt der Fachmann zum Zustand des Bodens hier.

Seit 1822 gibt es den Gottesacker nahe der kleinen Weser. Einst erbaut in feuchten Wiesen, die nächsten Häuser weit entfernt. Pro Grabstelle kam alle 20 Jahre der nächste Tote – die lehmhaltige Erde hatte soviel zu verkraften, dass nun nichts mehr geht: Leichen verwesen kaum noch, würden in der Feuchtigkeit eher konserviert. Deshalb ist der Friedhof seit 1981 für Erdbestattungen gesperrt. Urnen sind noch erlaubt, ebenso Bestattung in Gruften.

Heinrich und Erna. Er ist 1982 gestorben, sie zwei Jahre später, beide nach fast 80-jährigem Leben. „Früh getrennt“, steht auf dem Grabstein, den Efeu muss man wegschieben, will man alles lesen, „doch ewig in Liebe vereint.“ Philemon und Baucis. Das Paar der griechischen Sagenwelt, das sich aus lauter Liebe wünschte, gemeinsam zu sterben. Er wurde zur Eiche, sie zur Linde.

Eichen und Linden. Sie machen das Gros der Bäume auf dem Friedhof aus. In den 70-er Jahren habe man erwogen, erzählt Herbert van der Linde, „den Friedhof auslaufen zu lassen.“ Bäume, die groß werden sollten, wurden gepflanzt. „Jetzt haben wir den Ärger damit“, sagt Erich Kath, Verwalter vor Ort. Wurzeln, die die Grabsteine anheben, Schatten, der nicht alles wachsen lässt.

„Wir hatten uns lieb und lieben uns noch.“ Sandstein, vergangenes Jahrhundert. Darüber zwei Namen. Meta und Herta. Schwägerinnen offenbar. Vielleicht mehr. Ein in den rauhen Sand gemeißelter Schmetterling verkörpert ewiges Verändern.

1822 haben Neustädter Bauern die „Neustadts Beerdigungsanstalt“ gegründet. Der Friedhof Buntentor war anfangs ein Privatfriedhof. Die „zwölf Apostel“ hießen die zwölf Vereinsgründer im Volksmund. Die Gräber der Gründerfamilien stehen hier noch heute und zeugen von der kleinen Macht der alten Granden. Hohe Steintafeln, schwere Grabplatten. Unter Dora Meyer, gestorben 1874, steht: „Aus Neuenland“.

Bohus und Vanga haben den Oberkirchner Sandstein längst ersetzt. Bohus und Vanga sind die Namen des rotbraunen, gelbbraunen Granits, der hier Stein neben Stein steht. Soldatisch ausgerichtet, gleiche Größe, gleiche Quadrate mit runden Ecken, oben Symbole: Kreuz, Baum, Sonne, Sonne, Kreuz. Die Steinsorte sei eine Modeerscheinung, erklärt van der Linde: „Der Kunde möchte möglichst abwaschen können.“

Zur Kornstraße hin stehen Gräber mit glänzenden Steinen, bunte Blumen darauf, Gestecke aus Rosa und Rot, aus Blau und Gelb. Weiße und violette Heide in Mustern gepflanzt. Kein Halm von Gras oder sonstigem Kraut, das hier nicht wachsen soll. Es sind Gräber von Sinti und Roma aus Bremen. „Wir haben eine ganz andere Beziehung zu unseren Toten“, sagt Romano Hanstein, Geschäftsführer des Landesverbands der deutschen Sinti und Roma, „deshalb sind die Gräber ein bisschen hübscher, ein bisschen schöner gemacht.“

Rund 2.500 Grabstellen hat der Friedhof Buntentor, dazu nochmal etwa 600 Urnennischen an der Ostwand. Berühmheiten? Eigentlich nur eine. Die Fisch-Lucie. Gestorben 1950. Wohl eine höchst populäre Frau. Ein Fisch ist in einfachen Strichen oben in den Sandstein gemeißelt, der auf dem kleinen, von grünen Strunken umrankten Grab steht. Darauf holpern die letzten Worte: „Weil Fisch ein Teil in deinem Leben, sollst du bei uns stets weiterleben.“ Als der Sarg mit der Fisch-Lucie ins Grab gelassen wurde, weiß Erich Kath, standen die Menschen, die dem Zug folgten, bis zum Leibnizplatz.

Susanne Gieffers