Der passionierte Schweiger

■ Zum 100. Geburtstag von Richard Oelze zeigt die Bremer Kunst-halle seine grauen Steinwälder und Missgeburten, schließlich flüch-tete sich der Magdeburger ausgerechnet ins verwaiste Worpswede

Sein Bild „Die Erwartung“ hat sich in fast jeden Schädel fest eingefräst; auf unzähligen Bucheinbänden wird es dazu benutzt, eine unheilschwangere Stimmung zu generieren. Im nicht gerade freudvollen Jahr 1935 war es, da malte Richard Oelze diese Gruppe von grauen Hutträgern, die in eine dunkle, unendliche, nichts preisgebende Wolkenwand hineinstarren. Witzigerweise bildete vielleicht ein Zeitungsfoto von einer Flugvorführung des Atlantiküberquerers Lindbergh die ,Vorlage' für die Gruppe der Glotzenden. Im Himmel der „Erwartung“ aber wird es niemals einen Helden geben, Flugzeuge sowieso nicht, denn Oelzes Bilder sind frei von jeder Zeitgenossenschaft, keine Bars, keine Technik, kein Eifelturm, nichts, was an Alltag erinnert.

Viel mehr als dieses Bild ist in der breiten Öffentlichkeit nicht von Oelze bekannt. Umso erfreulicher, dass der schöne Katalog (48,--) von Ausstellungskuratorin Christine Hopfengart die ganze Biografie gründlich aufrollt – und in einer undurchdringlichen Nebelsuppe landet, nicht ganz unähnlich dem Bild „Die Erwartung“. Denn Oelze war passionierter Schweiger. Auf Selbstporträts im Halbprofil sind die dünnen Lippen wie zusammengeschweißt, dafür glotzt aus der Mitte des Schädels ein überdimensioniertes Geierauge skeptisch und bohrend.

Mit Horst Janssen, der Oelze schwer bewunderte, tauschte er sich ausschließlich über Fragen der Maltechnik aus. In altem Handwerkerethos lehnte er Hilfsmittel ab, sogar einen harmlosen Radiergummi. Asketisch beschränkte er sich auf superdünne Pinsel und Bleistifte, die er selber mit Taschenmesser (in einer Devotionalien-Vitrine zu sehen) zuspitzte wie einen Dolch. Wie Segantini oder der von ihm geliebte van Gogh bringt er die Welt durch hauchfeine Strichelungen in fließende Unruhe. Wegen dieser faszinierenden altmeisterlichen Tüfteligkeit kleben Besucher von Oelze-Ausstellungen minutenlang mit den Wimpern an den Bildern wie bei indischer Miniaturmalerei; richtig lästig. Und es ist vielleicht das Spannendste an Oelze überhaupt, dass er mit seinen akribischen Strichelungen zu ähnlichen Ergebnissen kommt wie Max Ernst durch das viel flottere Durchreiben von knorrigem Holz oder das Abdrucken von Glasscheiben: verbeulte Geschwüre und fasrige Strukturen, aus denen Organisches herauswächst, Augen, Fratzen.

Dass es wenig Dokumente, Briefe, Erinnerungen von und an Oelze gibt, deutet auf einen Einzelgänger hin. Nichts desto trotz zog es ihn an Orte, wo der künstlerische Weltgeist pulsierte. 1900 in Magdeburg geboren, ging er (vermutlich) 1921 ans Dresdner Bauhaus. Zwei minuziöse Materialstudien von Samt, Holz, und der fast leitmotivisch eingesetzten Glaskugel erinnern in der Kunsthalle an das Kultivieren des Handwerklichen unter Klee, Schlemmer, Itten. 1925 zog es Oelze nach Dresden, wo Otto Dix als Hochschulprofessor die Kunst politisch erdete. Es war aber vor allem Richard Müller mit seinem Trompe l'oeil-Ideal der Lebensechtheit, die Oelze begeisterte: Von diesem Meister der Genauigkeit ist in der Kunsthalle ein Hummer zum Reinbeißen zu sehen. Nach Zwischenstationen in der Künstlerkolonie von Monte Verita bei Ascona ging er nach Paris. Vielleicht war es ein Dalibild in einem Schaufenster, das ihn in die Hochburg der Surrealisten lockte. Und er war bald mittendrin, dabei bei den einflussreichen Surrealistenausstellungen 1936 in London und in New York. Weil ihn aber der gestrenge Gruppenverwalter Andre Breton in seiner einflussreichen Schrift von 1945 in die Fußnoten verbannte, stand sein Name später nicht in einer Reihe mit den heute bekannten Figuren. Vielleicht fehlten bei ihm auch die spektakulären Kompositionen, etwa von Lautreamonts legendären Regenschirm mit Schreibmaschine und Sezierbett. Nach kurzem Aufenthalten in Ascona und in der Künstlergemeinschaft von Positano kehrte er 1938 zurück nach Deutschland, auf Einladung von Mäzenen. Ein heute schwer einzuordnender Fehler, den er mit fünf Jahre Kriegsdienst und kurzer amerikanischer Gefangenschaft bezahlte.

1945 ließ er sich wieder anziehen von einem mythischen Namen: Worpswede. Doch dort lebte nur noch Martha Vogeler, und diesmal war es wohl die Weltverlorenheit, die er suchte. Seine dritte Ehefrau Ellida Schargo von Alten über das 7 qm große Gartenhaus, das er sein Heim nannte: „Die Fenster waren nicht geputzt, da Oelze nicht wollte, dass man hereinsehen konnte.“ In der Nachkriegszeit mit der Flucht/Rettung der Malerei in die Abstraktion, konnte ein Oelze keine Bilder mehr verkaufen; weder die wunderschönen, dämonisch glühenden Naturlandschaften, noch die späteren fantastischen Felsen-Wald-Sujets in Anknüpfung an die Vorkriegszeit. „Ich bin jetzt vollkommen ohne Geld.“ Seine (umstrittene) Teilnahme an der II. documenta 1959 und eine Retrospektive in der Kestner-Gesellschaft Hannover waren zwei der vielen auf halbem Wege steckengebliebenen Wiederentdeckungen. 1980 starb er in einem Kaff im Weserbergland. Die letzten fünf Jahre hat er sich geweigert das Haus zu verlassen.

Die Kunsthalle zeigt die grisailleartigen Bilder, aus denen sich Farbe nur zaghaft aus dem dominierenden Grau herauswagt, auf schwarzgrüner Wand. Schließlich verirrt man sich in Oelzes Welten wie in einem düsteren Wald. bk

Bis 21. Januar, Vernissage: So, 11.30h