Eigenwillige Typen

Die Liebe zum Unaufgeregten: Alain Platel/„Les Ballets C. de la B.“ gastieren mit „Iets op Bach“ in der Schaubühne

Hätte die Beiläufigkeit noch nicht existiert, Alain Platel hätte sie ganz nebenbei erfunden. Da sie aber schon da war, als er 1984 nach einem Streit über Maurice Bejart seine erste Choreografie entwarf, machte er sie eben salonfähig. Platel, der zu dieser Zeit als Behindertenpädagoge in Gent arbeitete, versammelte seine Schwester und ein paar Freunde in seinem Wohnzimmer, und dann wurde getanzt. So gut man eben konnte.

Und das war sehr gut: Die kleine Performance fand ihren Weg auf ein heimisches Festival, und die Gruppe, die sich in ironischer Selbstüberschätzung „Les Ballets C. de la B.“ (Das zeitgenössische Ballett Belgiens) nannte, zählt heute neben Anne Teresa de Kersmaekers „Rosas“ und Wim Vandekeybus’ „Ultima Vez“ zu den renommiertesten Tanzcompagnien Belgiens.

Die Liebe zum Unaufgeregten hat Platel dabei behalten. Eine Bühne ist eine Bühne ist eine Bühne – ja klar, aber auch: ja und? Heißt das, dass deshalb dort die Dinge stringenter als im wirklichen Leben geschehen müssen? Hallo, ich bin der Prolog, hallo, ich der Höhepunkt? Es gibt schließlich kein Gebot, das einem Ensemble untersagt, mit dem Rücken zum Publikum zu tanzen und dabei mit Sägeblättern auf ein Leonardo di Caprio-Poster zu werfen. Im Gegenteil, wer „Iets op Bach“ (Etwas über Bach) sieht, ist überzeugt, so was müsse sehr viel öfter geschehen.

Platel arbeitet mit Profis und Amateuren, Tänzern, Kindern und Behinderten. Seine jüngste Produktion „Allemaal Indiaan“ zeigt zwei zweistöckige Häuser, hinter deren Fenstern und vor deren Türen und auf deren Dächern mehr Geschichten des Glücks und der Verzweiflung erzählt werden, als Augen im Publikum sind. Auch „Iets op Bach“, eine Koproduktion mit dem Hebbel Theater, die dort 1998 schon zu sehen war und nun noch einmal an der Schaubühne gezeigt wird, überzeugt durch virtuose Gleichzeitigkeit. Platels Gabe, dem Geschehen keinen Fokus zu geben und doch alle Aufmerksamkeit zu bündeln, ist phänomenal.

Auf einem Schlachtfeld urbaner Fundstücke bewegt sich eine Hand voll eigenwilliger Typen. Das Leben geht so seinen Gang, man küsst sich, schlägt sich und wenn sich's anbietet, tanzt man eben oder rammelt unterm Wäscheständer. Dazu spielt ein Kammerorchester live Barock-Kantaten von Bach. Die Gesänge um Tod und Gott haben eine derartige Präsenz, dass die trotzigen Versuche der Darsteller, Aufmerksamkeit zu erlangen, groteske Komik bekommen. Hier HipHop, dort Bach, da ein brennendes Geländer und vorne ein Mann, der Bowlingkugeln mit dem Bauch auffängt. Ganz große Klasse. CHRISTIANE KÜHL

17. bis 19. 11., 20 Uhr, Schaubühne, Kurfürstendamm 153, Wilmersdorf