gore vidal for president! von WIGLAF DROSTE
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Die meisten US-Amerikaner, die man öffentlich abbekommt, sind wie das Amerikaner genannte Gebäck: zuckrig, flach und fade – und außerdem noch kitschig, patriotisch, phrasensüchtig, uniform uninformiert, borniert, laut und protzig und sowieso immer die Größten und Besten, und immerzu sagen sie „O my God!“ oder „Okay!“ oder „Ich bin okay. – Bist du okay?“, als wären sie aus einem der Bücher von Michael Crichton. Amerikanische Wissenschaftler werden bald feststellen, dass sie das auch sind.

Die Ausnahme von der Regel heißt Gore Vidal, ist 75 Jahre alt, stammt aus dem Gore-Clan, war Drehbuchautor und Romancier, lebt in Süditalien und schreibt bewunderungswürdige Essays. Achtzehn dieser umwerfend klugen und in ihrer Schärfe und Genauigkeit sehr lustigen Aufsätze aus den Jahren 1971 bis 1998 hat Willi Winkler, die verbliebene Restintelligenz in der abmattenden Süddeutschen Zeitung, unter dem Titel „Das ist nicht Amerika!“ gesammelt, herausgegeben und benachwortet. Wir hören Willi Winkler: „Vor einer Bar unterhält sich Gore Vidal mit einem amerikanischen Ehepaar aus Tennessee, das zum ersten Mal in Italien weilt. Die beiden betrachten Al Gore als Kommunisten, Scorsese halten sie für einen schmutzigen Ausländer, und schon gar nicht können sie begreifen, wie ein guter Amerikaner freiwillig woanders als in Amerika leben kann. Sie wollten für ihn beten, sagen die beiden guten Amerikaner zum Abschied, und Gore Vidal ruft ihnen nach: ‚Ich habe bereits für Sie gebetet, aber mein Gebet wurde nicht erhört.‘“

Auch den Schriftsteller als Gefolgsmann, Mund und Speichellecker des kriegsgeilen Politikers hat Vidal durchleuchtet. Sein amerikanisches Pendant zu deutschen Banalitätenschleudern wie Peter Schneider ist John Updike. Vidal nimmt Updikes provinzielle Grütze wunderbar auseinander: „Updikes Werk repräsentiert mehr und mehr die Polarisierung eines Staates, der sein Gewaltmonopol immer brutaler und bösartiger ausübt, während seine Helfershelfer in den Massenmedien sich immer mehr ereifern und der Kreuzzug einer Minderheit gegen die Mehrheit zunehmend eskaliert.“

Über seltsames Gebaren in einem seltsamen Land, in dem einer ohne das ausdrückliche und herzliche Bekenntnis zur Todesstrafe nicht Präsident werden kann, berichtet Vidal auch in „Micky Maus als Historiker“, einer Geschichte über den American Way of Censorship. Korrupte Gestalten, die enorm auf seriös machen, nehmen sich als Historiker und Experten einer kleinen Sendereihe über die amerikanischen Präsidenten an, die Vidal für den britischen Channel Four machte. Sie mögen es nicht, was Vidal sagt: „Das Wort ‚liberal‘ ist abgrundtief dämonisiert worden, während der Begriff ‚konservativ‘, der die Haltung der meisten wirtschaftlich benachteiligten Amerikaner wiedergibt, von angeblich gottesfürchtigen Interessengruppen missbraucht wird, die mit Fötus und Fahne hausieren gehen.“

Mit Fötus und Fahne hausieren gehen – das ist, mit Theo Kojak gesagt, einem Amerikaner, den ich sehr mochte, als ich vierzehn war: entzückend.