■ H.G. Hollein
: Auftakt

Der Tag, den ich jeden Morgen auf mich nehme, beginnt zumeist nicht eben verheißungsvoll. Zunächst gilt es, die Katze, die mich duldet, sensibel aus dem Weg zu hebeln, bevor ich mich zur Verrichtung ausführlicher Weckrituale an die Gefährtin heranrobben kann. Was mich auch nach zwei Jahrzehnten immer noch bass erstaunt, ist das Ausmaß an Unbeliebtheit, das in solchen Momenten der Anblick eines ansonsten angeblich gern gesehenen Gesichtes auslösen kann. Vielleicht sollte ich mir aber einfach nur etwas anderes einfallen lassen und der Gefährtin nicht jedes Mal als ultima ratio in den Bauch pieken. So geht es nicht ohne Gezeter ab, wenn ich die Schlaftrunkene unter die Dusche schiebe, derweil ein grauer Schemen in Knöchelhöhe wütig und lautstark versucht, das Zweibeiner-Tandem in Richtung Fressnapf umzulenken. Während die Eine plätschert und die Andere schmatzt, lese ich hier und da eine verstreute Socke auf, stapele sorgsam ein paar angelesene Bücher und stochere versonnen im Katzenklo. An sonnigen Tagen stehe ich gern ein paar Minuten an der Balkontür und kontempliere das Leben im Hinterhof. Zumindest bis mich die zunehmende Anzahl interessierter Gesichter in den Fenstern gegenüber daran erinnert, dass ich noch nichts anhabe. So wird es denn allmählich Zeit, sich dem Leben in seinem Ernst zu stellen. Mithin der Frage, rasieren oder der Welt noch einen weiteren Tag bohèmehaft-borstig gegenübertreten? Meist enthebt mich das dringliche Drängeln der Gefährtin einer Antwort. Gott sei Dank ist mir jegliche Eitelkeit fremd, und wir gewinnen kostbare Minuten, in denen mir die Gefährtin schnell noch ein paar Besorgungen für den Tag auftragen kann. Mit einem letzten Blick auf die Katze, die sich betont beiläufig wieder auf unserem Bett zurechtringelt, geht es dann hinaus in den dynamischen Arbeitsalltag. „Mach's gut, Schatz“, ruft mir die Gefährtin noch zu, und „Vergiss nicht ...“ Manchmal frage ich mich dann, ob eine Welt ohne mich überhaupt denkbar ist.