Wasser und Sch***

Rock, Entfremdung und existentialistische Küchenphilo-sophie: „Modest Mouse“ im Logo  ■ Von Felix Bayer

Wenn erste Sätze auf Schallplatten genauso bedeutungsvoll sind wie erste Sätze von Romanen, dann hat Isaac Brock mit seiner ersten Textzeile auf The Moon And Ant-arctica schon viel gesagt: „Every-thing that keeps me together is falling apart“, damit beginnt das aktuelle Album von Modest Mouse. Was noch bleibt, wenn alles zusammenbricht, was einen zusammenhält, das schildert Brock bis ins schmerzhafteste Detail auf dieser Platte. „Well, it took a lot of work to be the ass I am“, singt er, doch sogar die Selbstvergewisserung, ein Arschloch zu sein, trägt nicht mehr – und dann noch dieses Plattencover: Eine weite Landschaft, ein düsterer Himmel, und aus dem Nichts ergreifen zwei Hände ohne Körper einander – menschlicher Kontakt ist nur noch eine Hoffnung, fern und fremd.

Rockmusik hat immer schon von Entfremdung erzählt, die wütenden Gitarren bezeichneten die Distanz von einer Welt, in der es zu funktionieren galt. In den letzten Jahren schien die „elektronische Einsamkeit“ die Wut des Rock als Entfremdungsszenario abgelöst zu haben, spätestens seit Kurt Cobain die Ausweglosigkeit, von der seine Rockmusik sprach, biografisch so endgültig belegt hatte. Nun äußert bei Modest Mouse wieder einer seine Distanz und Verlorenheit zu Rockmusik, völlig frei von ironischen Notausgängen oder cleveren Konzepten; da war es vielleicht unausweichlich, dass die Vergleiche mit Nirvana wieder herausgeholt werden. Doch das ist Quatsch mit Soße, wie wir damals auf dem Grundschulhof zu sagen pflegten.

Wohlgemerkt, es gibt Gemeinsamkeiten zwischen Modest Mouse und Nirvana: Dreierbesetzung, aus dem Staate Washington, mitreißende Liveband. Es scheint, der Unterschied läge darin, dass sich Isaac Brock um eine poetische Sprache in all der Hoffnungslosigkeit bemüht. Aber man darf auch Cobain eine Art rohe Poesie nicht absprechen.

Der entscheidende Unterschied liegt, nun ja, in der Musik. Mitnichten handelt es sich einfach um Rockmusik. Wo Nirvana die Musik simpel hielten, um Cobains großartiger Stimme Platz zu lassen, finden Modest Mouse zu einer einzartigen Sophistication im Grobschlächtigen – lauter Teil folgt auf leisen Teil, aber auf eine Art wie es sich eigentlich nicht gehört. Plötzlich ein New-Wave-Song, rap-naher Sprechgesang und doch wieder ein Schreien, ungelenk und – tatsächlich – lispelnd.

Von Isaac Brock sind keine Selbstauskünfte zu erhoffen, die weiterhelfen würden, die Dämonen, die ihn plagen, zu ergründen. Denn eigentlich sieht er den Zweck von Artikeln über Rock nicht recht ein: „Ich bin froh, dass ich so wenig über die Pixies weiß, denn ich liebe sie.“ Doch wir erfahren ja genug, wenn wir die Musik von Modest Mouse hören: Er ist ein großer Gitarrist, fast wie Doug Martsch von Built To Spill, aber ohne dessen Neigung zum Epischen.

Und wenn letzte Sätze auf Schallplatten genauso bedeutungsvoll sind wie letzte Sätze von Romanen, dann stellen wir beruhigt fest, dass ihn von Kurt Cobain noch etwas unterscheidet: Seine Entfremdung mündet nicht in Selbsthass, sondern in eine Art existentialistische Küchenphilosophie. „What People Are Made Of“ heißt das letzte Stück auf The Moon And Antarctica. Ja, woraus bestehen die Menschen wohl letztendlich? Das ist der letzte Satz: „They ain't made of nothin' but water and shit.“

Sonnabend, 21 Uhr, Logo