Für Kurskorrektur

■ Angestelltenkammer: Die Sanierungspolitik wird ihre Ziele nicht erreichen, wenn sie die Bremer vertreibt

Die Sanierungspolitik des Bremer Senats setzt „falsche Akzente“, es müssen „Fehlentwicklungen korrigiert werden“. Mit diesen klaren Worten legte gestern die Spitze der Angestelltenkammer eine Expertise vor, die sich mit den zentralen Themen der Sanierungspolitik befasst. Geschäftsführer Hans Endl und Präsidentin Irmtrud Gläser erkennen dabei an, dass der Strukturwandel „einige Schritte vorangekommen“ ist. Die Ziele der Sanierung werden mit dem derzeit eingeschlagenen Weg ihrer Ansicht nach aber keineswegs erreicht.

Dass sie ihre Position einen Tag vor dem Landesparteitag der SPD öffentlich macht, auf dem grundsätzlich über „Zukunft gestalten“ debattiert werden soll, ist gewollt. Die Kammern waren vor acht Jahren dabei, als eine „Bremer Erklärung“ über die Sanierung feierlich unterzeichnet wurde; seit dem hat der Senat die Unterzeichner dieser Erklärung aber nicht mehr besonders nach ihrer Meinung gefragt, so dass diese sich jetzt ungefragt zu Wort meldeten.

Die Kammer vertritt 270.000 Angestellte in Bremen, und die tragen vielfach die Lasten der Sparpolitik. Wofür? Beim Wirtschaftswachstum liegt Bremen seit 1992 kontinuierlich unter dem Durchschnitt der alten Länder, stellt Endl fest, das spiegelt sich in den schlechten Beschäftigungsraten wider. Die erfreulichen Nachrichten vom Arbeitsmarkt sind konjunkturell bedingt, es gebe aber keinerlei positive Sonder-Effekte in Bremer, die man als Resultat der Sanierungs-Investitionen erwartet hatte. Die Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen ist sogar doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt.

Die Sanierung der Staatsfinanzen kann so auch aus einem anderen Grund nicht gelingen: Von 1.000 Mark Steuer-Mehreinnahmen des Landes bleiben nur elf Mark im Staatssäckel, der Rest wirkt sich als Absenkung der Ausgleichszahlungen aus. Nur wenn Wirtschaftswachstum auch mit einer Zunahme der Einwohnerzahlen einhergeht, bedeutet das wesentliche Steuer-Mehrheinnahmen. Daher hatte das Finanzressort einmal Modelle mit 60.000 Einwohnern mehr gerechnet; die mittelfristige Finanzplanung war wenigstens von einer Stagnation der Bevölkerung ausgegangen. In Wahrheit aber sinkt die Einwohnerzahl. Nach der gültigen Prognose von Bund und Ländern wird die Bevölkerungszahl Bremens allein bis zum Ende der Sanierungsphase um weitere 20.000 Einwohner sinken, bis zum Jahre 2015 um 70.000. Trotz der großen Wohnungsbauvorhaben ist der Umzug in den Speckgürtel attraktiv – vor allem für gute Steuerzahler. Die Zahl der Pendler steigt kontinuierlich.

Insbesondere vor diesem Hintergrund fordert die Kammer Korrekturen am Sanierungs-Programm: Investitionen, die die Stadt für ihre Bevölkerung attraktiv machen, seien dringlich. „Es gilt also, neben Glas, Pflastersteinen und Beton auch in die humane Qualität des Stadtstaates zu investieren“, heißt es in der Erklärung der Kammer.

Die Kammer schlägt konkret vor, aus dem Investitions-Sonder-Programm (ISP) eine erhebliche Summe als „Investitionsfonds Human Ressource“ festzulegen. Die Vergabe der Mittel sollte „in einem demokratischen Diskurs“ festgelegt werden, um endlich ein Identifikationsangebot mit der Sanierungspolitik zu schaffen. In einer Art „Zukunftswerkstatt“ könnten alle Bremer und Bremerinnen daran arbeiten, wie die Hansestadt „lebenswerter und attraktiver zu machen ist und wie neue Einwohner für diese Stadt gewonnen werden können“. K.W.