Netzwerk gegen die Versandung

Berlin-Brandenburg ist eine gewässerreiche, aber wasserarme Region. Die Technische Universität Berlin will jetzt Kriterien für eine nachhaltige Wasserwirtschaft entwickeln. Eine aktuelle UN-Studie warnt vor Temperaturanstieg

von VOLKER ENGELS

Die Fakten sind beunruhigend: Weit mehr als die Hälfte aller Feuchtgebiete in Deutschland sind seit den 50er-Jahren ausgetrocknet, der Niederschlag in Form von Regen oder Schnee ist im Jahresdurchschnitt in den letzten 50 Jahren deutlich gesunken. Kurz: „Wir verdunsten mehr, als von oben herunterkommt“, warnt der Präsident des Brandenburger Landesumweltamtes, Matthias Freude. Allein zwischen 1965 und 1998 habe sich der Wasserpegel der Spree quasi halbiert. Im Sommer sei der Fluss nicht mehr als „eine Kette von stehenden Seen. Diese Entwicklung, meint Freude mit Blick in die Zukunft, stimme ihn „sehr, sehr bedenklich“.

Die Folgen werden weithin sichtbar sein. Bei einem globalen Anstieg der durchschnittlichen Temperaturen um nur anderthalb Grad werde sich die Vegetation in der Region „völlig verändern“. Freuen dürfte das all jene, die den ausgedehnten Nadelwäldern unserer Tage allenfalls gediegene Langeweile attestieren. Unter ökologischen Gesichtspunkten allerdings ist ein solches Szenario erschreckend. Besonders, wenn man die jüngste Prognose des UN-Wissenschaftsrats zur Klimaveränderung liest. Die Forscher erwarten im 21. Jahrhundert eine durchschnittliche Erhöhung der Temperatur um eineinhalb bis sechs Grad.

Eine gewässerreiche, aber wasserarme Region wie Berlin-Brandenburg muss sorgsam mit dem klaren Nass umgehen, damit die Versorgung der Bevölkerung auch in der Zukunft gesichert sein wird. Die diesjährige Frühjahrstrockenheit hat nach Einschätzung von Brandenburgs Umweltminister Wolfgang Birthler (SPD) die ohnehin seit Jahren zunehmenden Probleme bei der Wasserbereitstellung im Land verschärft.

Eine Ursache sieht Birthler darin, dass in Brandenburg die geringsten Niederschläge fallen und die Sandböden das Wasser schlecht halten. Diesem Problem widmet sich seit Mitte des Jahres die Projektgruppe Landeswasserhaushalt, die Konzepte für den künftigen Umgang mit Wasser in der Landschaft entwickeln soll. „Das wenige Wasser möglichst lange in der Landschaft zu halten ist dabei unser wichtigstes Ziel“, fasst der Minister die Aufgabe der Projektgruppe zusammen.

Allein die Berliner Wasserbetriebe versorgen bei einem Jahresumsatz von 1,9 Milliarden Mark rund 3,4 Millionen Berliner sowie mehr als 300.000 Menschen aus dem Umland mit Trinkwasser. Außerdem entsorgen sie das Abwasser. Früher lief diese Entsorgung relativ einfach ab: Bis in die 50er-Jahre wurde in Westberlin, bis in die 70er-Jahre in Ostberlin der menschliche Dung auf Rieselfelder an der Stadtgrenze verbracht. Heute ist man da feiner und klärt die menschliche Gülle, bevor sie in den Wasserkreislauf zurückgeführt wird.

Die Technische Universität Berlin (TU) hat im September den neuen Forschungsschwerpunkt „Wasser in Ballungsräumen“ gegründet. Dort sollen methodische Grundlagen entwickelt werden, um den Umgang mit Wasser im Sinn einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Bewirtschaftung zu verändern. Um dieses Ziel zu erreichen, will das Forschungsnetzwerk die Kompetenz von rund zwanzig Fachbereichen, von der Umwelt- und Verfahrenstechnik bis zu den Wirtschaftswissenschaften, nutzen.

Die Forscher gehen davon aus, dass die stetig wachsenden Umweltprobleme urbaner Räume, die immer auch den Bereich Wasser tangieren, nur durch gemeinsame universitäre Aktionen sinnvoll und nachhaltig gelöst werden können. Das Wissen und die Erfahrung, die Wissenschaftler an den Hochschulen in Jahrzehnten angesammelt haben, soll aufbereitet und öffentlichen und privatwirtschaftlichen Anbietern der Wasserwirtschaft zur Verfügung gestellt werden.

„Der Begriff ‚nachhaltige Wasserwirtschaft‘ ist unscharf und muss mit Leben gefüllt werden“, fordert Mathias Ernst, der als Geschäftsführer die Arbeit des Forschungsschwerpunkts koordiniert. „Es geht darum, zu messen, was Nachhaltigkeit eigentlich ist und wie wir konkrete Indikatoren dafür entwickeln können“, so Ernst. Bisher werde viel über Nachhaltigkeit geredet, ohne dass präzise definiert sei, was genau darunter zu verstehen ist. Eine wichtige Aufgabe des Forschungsschwerpunkts sieht Ernst auch darin, dabei mitzuhelfen, „dass die verschiedenen Akteure der Wasserwirtschaft miteinander kommunizieren“.

Daten zum Schadstoffgehalt von Grund- oder Oberflächenwasser liegen seit langem vor. Die Wasserbetriebe wissen genau, welche Nährstofflast ihre Kläranlagen aus dem Wasser herausfiltern und wie viel Tonnen Schadstoffe sie den Flüssen zumuten. Klimaforscher verfügen über verlässliche Prognosen zur jährlichen Verdunstung. Umweltämter können Auskunft über die Belastung von Flüssen und Seen geben. Miteinander verknüpft werden diese Fakten bislang aber nicht.

Das Netzwerk „Wasser in Ballungsräumen“ kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass sich das ändert. Auch auf die Gefahr hin, dass die Brandenburger Wälder von Nadelhölzern und Rehen dominiert werden und es für Mammutbäume und Giraffen in unserer Region auch in der Zukunft ein paar Grad zu kühl sein wird.