Die Verpackungsperspektive

Über die „Eyes and Ears Awards 2000“ mag man staunen, aber es hilft nichts: TV-Design hat nämlich seine eigenen Spielregeln. Zum Glück regiert in der Hyperrealität des Fernsehens auch König Fußball

von KONRAD LISCHKA

Es hat viel mit Kaffee zu tun. Den gefüllten Bechern mit dem Heißgetränk zum Beispiel, die CNN-Redakteure ab und an im Hintergrund der Nachrichtensendung an ihre Schreibtische tragen. Und mit den Blättern, die sie, durchs Büro hetzend, in Händen halten. Das ist kein Zufall, sondern TV-Design. Die Kaffeebecher bezeichnen Arbeit, das gehetzte Papier schnelle Nachrichten. Das ist das CNN-Konzept: Bilder einer hyperrealen, objektiven und wahren Welt.

Was Fernsehdesign noch ist, war bei der diesjährigen Verleihung der „Eyes and Ears Awards“ am Ende der Münchener Medientage zu sehen. „Eyes and Ears of Europe“ ist der 1995 in Köln gegründete Berufsverband der europäische Sender und TV-Designer. 21 Preise wurden verliehen. Ein netter alter Mann, der ebenso gut auf der Trabrennbahn wetten könnte, steht auf einer saftig grünen Wiese, trimmt mit der Nagelschere einen widerspenstigen Halm zurecht. Ein Fußball fliegt ins Bild. Spieler rennen über die Wiese. Nahaufnahme: Die Spikes an ihren reißen das Grün entzwei, wie bei einem Messerschnitt das Fleisch quillt braune Erde hervor. Das ist der Gewinner „Beste Neuerung senderbezogenes Corporate Design on air“. Das Deutsche Sportfernsehen ist eben mittendrin statt nur dabei: Auch wenn der Tennisspieler statt am Netz auf dem Centre Court vor der Wäscheleine im Hinterhof punktet.

Das Fernsehen rammt die Pflöcke seiner mediatisierten Realität in der Alltagswirklichkeit ein, egal ob Vorgartenwiese oder Hinterhof.

Tiefseriöses Blau

Die Kolonialisierung der Welt stand nicht immer auf der Agenda der TV-Designer. Als es in deutschen Haushalten nur drei Sender gab, kündigten noch nette Damen das folgende Programm an. Erst mit dem Privatfernsehen 1984 kam die Notwendigkeit, aus Sendern Marken zu machen: Die ARD ließ das seriöse, Qualität versprechende Tiefblau der „Tagesschau“ häppchenweise auf das restliche Programm überschwappen. Und die Meister Lampes, die einst durch die RTL-Oster-Werbung hoppelten, wirkten – nun ja, schon irgendwie anders. Wenn auch nicht unbedingt erfrischend.

Heute ist bei über 30 Fernsehprogrammen im durchschnittsdeutschen Fernsehhaushalt mehr Kreativität gefragt. Bei der diesjährigen „Eyes and Ears“-Preisverleihung nannte Martin Gebrande von der Bayerischen Landeszentrale für Neue Medien (BLM) die Vorstellung von „Design als Verpackung ein Klischee“. – Vielmehr gehe es doch wohl um „Service für den Zuschauer“. Einerseits ist da nichts gegen zu sagen. Andererseits kann man die Versuche, die Alltagswirklichkeit mit Hilfe einer Fernsehästhetik zu kolonialisieren, auch nicht so stehen lassen.

ProSieben etwa zeigte diesen Sommer Kurzspots unter dem Motto „Gut, dass sie zu Hause geblieben sind“. Als Kurzsoap konnte man sehen, was im Urlaub einer Familie so alles schief lief. Fazit: Lieber Fernsehen schauen, da ist der Strand eh schöner als in der schnöden Realität.

Die ARD – Gewinner „Bestes Werbetrenner- oder Senderkurzkennungspaket“ – hat diesen neuen Anspruch des Fernsehens auf die Welt des Zuschauer überlegter visualisiert: Die Kamera fährt in einen Wald. Fernseher stehen umher, auf den Schirmen sind Fußballer zu sehen. Dahinter, auf einer nebligen Lichtung, spielen tatsächliche Spieler. Die Kamera jedoch stoppt vor den Fernsehern, die Lichtung bleibt verschwommen. Die Frage, ob Bild und Abgebildetes einigermaßen deckungsgleich sind, wird nicht gestellt. Warum auch. Ähnlich verhält es sich mit den Nachrichten bei CNN. Natürlich wird nicht wirklich gelogen – aber inszeniert.

Abkupfern bei CNN

Die Nahost-Korrespondentin der Zeit, Gisela Dachs, hat dergleichen beschrieben: In Bethlehem lieferten sich Palästinenser und israelische Soldaten aus der Distanz ein Tränengas- und Steinwurfgefecht. Das ritualisierte Katz-und-Maus-Spiel. Und mittendrin ein Pferd. Einfach so. Gelassen stand es auf der Straße zwischen den Fronten. Aber in den Nachrichten war das Pferd nicht zu sehen. Die Kamerateams warteten, bis es von dannen trottete – schließlich erwartete man Zoff, keine Pferde. Von den gut 350 ausländischen Korrespondenten in Israel hockt bei solchen Unruhen in den Palästinensergebieten ein Großteil in Jerusalem und schaut CNN. Sie schreiben folglich Pferdeloses.

Wer da eine Geschichte anbietet, die aus dem Rahmen fällt – wie ein Tier, das einfach so herumsteht –, hat es schwer, seine Berichte abzusetzen. Sehr merkwürdig wird so etwas, wenn selbst BLM-Vertreter Gebrande „Big Brother“ unter Gesichtspunkten der Menschenwürde und des Jugendschutzes „fragwürdig“ nennt, im selben Atemzug das Format aber aus „Verpackungsperspektive vorbildlich“ findet: Sind denn Design und Menschenwürde voneinander unabhängig?

Ungeachtet dessen wird Alltagswirklichkeit nicht nur auf einer ästhetischen Ebene vom Fernsehen kolonialisiert. Der Gewinner „Beste integrierte Programm-Promotion-Kampagne“, Sat.1, hat bundesweit Plakatwände vor Schulen mit Werbung für das neue Kinderprogramm am Samstagvormittag belegt und es im Radio beworben. Eine der pädagogisch wertvollen Zeilen des Reklameliedchens: „Häng dich einfach vor die Glotze.“

SuperRTL verwandelt dagegen das Internet in einen Fernseher: Die Website ist mattscheibig, eckig und eher banal. Doch auch dafür gab es einen Preis, für die „beste senderbezogene Homepagegestaltung“. Vom eigentlichen Gedanken des Netzes als Diskursmedium ist da rein gar nichts mehr zu spüren.

TV-Designer sind jedoch nicht dumm. Und manchmal sogar selbstironisch. Die „Beste Programm-Promotion-Kampagne on air“ von ProSieben zu Ostern entlarvt mit Hilfe eines gelben Eis die Einfachheit, mit der das Fernsehen Bilder abhandelt und sich einverleibt. Etwa „Forrest Gump“. Die Ausstrahlung des Films wurde an den Feiertagen im Programm von ProSieben so beworben: Ein gelbes Ei sitzt auf einer Bank und hat eine Baseballmütze auf. „Ich bin Forrest.“

So viel zum Sicheinverleiben und Abbilden von Realität. Bei CNN in Atlanta, wo so viel Kaffee durch die Gegend getragen wird, gibt es keine Fenster.