Ohne Schuld keine Sühne

Wie sieht das Erscheinungsbild des Leibhaftigen aus? Was ist das Böse? Und was haben die Maschinen damit zu tun? Diesen Fragen widmet sich der Brite Peter Stanford, der eine Biografie des Teufels geschrieben hat. Seinem Gegenstand nähert er sich dabei sowohl historisch als auch mythologisch

von KRISCHAN SCHROTH

Seine Biografie des Teufels beginnt der 1961 geborene Peter Stanford, der einmal Klosterschüler war, mit einer Geschichte aus der Kindheit.

Im Sommer 1975 fuhr er mit dem Zug von Liverpool nach Brighton. Vor seiner „großen Reise“ „entwickelte“ er die „Vorstellung“, dass er „jedes Mal, wenn der Zug in einen der zahlreichen Tunnel auf der Strecke einführe, in die akute Gefahr geriete, von der Hölle verschlungen zu werden“. Der Gedanke war wohl insofern nicht ganz falsch, als ja der Tunnel selbst zum Hindernis werden kann.

Bei der Behandlung des Themas geht Stanford rational vor, was auch zu „99 Prozent“ seinem Wesen entspreche; in „einem Prozent“ mache sich aber seine „katholische Erziehung bemerkbar“. Es gebe „Dinge und Ereignisse“, die er sich nicht „erklären“ könne. Während seiner Arbeit an dem Buch habe es „unerklärliche Irritationen“ gegeben, „brüsk zugeknallte Türen“ und „Anfälle von Lethargie“. „Obwohl [. . .] mit beiden Beinen auf rationalem Grund und Boden stehend“, sei doch bei seinem „Sprung über den Zaun ein einzelner Faden an einem Nagel hängen geblieben“. Aber genau diesem „Nagel“ oder „Faden“ widmet er sich am allerwenigsten, sondern er sucht sich der Figur des Teufels sowohl historisch als auch mythologisch zu nähern.

Der Autor spürt ihm im alten Ägypten nach, in Mesopotamien, im Alten und im Neuen Testament, in den Apokryphen und verfolgt seine Spur durch Mittelalter und Renaissance. Schwächer werden sieht er ihn, je mehr die Naturwissenschaften Raum greifen und im Zeitalter der Aufklärung. Stanford widmet sich der Rolle des Satans in den Sekten des 20. Jahrhunderts und erörtert, warum gefährliche oder böse Menschen heute eher ein Fall für Gerichtspsychologen und Psychiater sind statt für den Exorzisten.

In dem Text kristallisieren sich zwei wesentliche Fragen heraus: die nach dem Erscheinungsbild des Teufels und die Frage, was das Böse ist, als dessen Personifikation der Teufel gilt. Zunächst geht Stanford in vorchristliche Zeit zurück, um nachzuforschen, welche mythologischen Figuren möglicherweise einen Einfluss auf das Bild des Teufels hatten. Für Ägypten scheint ihm der Unterweltsgott Anubis von Interesse, „halb menschliches, halb tierisches Zwitterwesen“ mit „Schweif und Hörnern“, manchmal eine Waage haltend, „um die Seelen der Toten zu wiegen“. In Griechenland gab es Pan, den „Gott des sexuellen Begehrens“, eine „haarige Bocksgestalt mit Hörnern“. Der eigentliche Teufel des Christentums schließlich ist als verbindliche, immer gleiche Gestalt nicht zu erfassen. Auf einem Mosaik des 6. Jahrhunderts in Ravenna ist Luzifer als ein rot gekleideter Engel zu sehen, „der Christus gegenübersteht“, während bei Fra Angelicos „Jüngstem Gericht“ (15. Jahrhundert) „Teufel mit Hörnern, Schwänzen, Flügeln“ und „dicht behaarter Haut“ abgebildet sind, „solche, die an Katzen erinnern, und andere mit hündischen Zügen“.

Was ist das Böse? Zwei Gedanken seien aus der Fülle des Stoffs herausgegriffen. Pseudo-Dionysius Areopagita, vermutlich ein Kirchenschriftsteller aus dem 5. Jahrhundert, charakterisiert das Böse als einen „Mangel, ein Defizit, eine Schwäche“, als „Irrtum, zwecklos, [. . .] dunkel, ohne Substanz und immer ohne jegliches eigenes positives Wesen“. Die Katharer wiederum, eine christliche Bewegung des 12./13. Jahrhunderts, hatten folgende Vorstellung vom Bösen (Zitat Stanford): „Die Religion, die sie im Sinn hatten, war nicht die des Papstes, seiner Bischöfe und Priester, vielmehr bekannten sie sich zu einem dualistischen Glauben, der diese Welt und alles, was dazugehörte – das Papsttum mit seinem Pomp und seiner Machtfülle eingeschlossen –, als Werk des Teufels betrachtete.“ Wofür sie von der offiziellen Kirche entsprechend verteufelt wurden.

In unserem Jahrhundert, wo der Teufel (der früher für manches die Schuld übernehmen musste) durch Medizin, Psychoanalyse, die Wissenschaften im Allgemeinen, fast gänzlich ausgetrieben ist, stellt sich die Frage nach dem Bösen wieder ganz neu und nicht weniger kompliziert. Flugzeugabstürze, Autounfälle, Explosionen in chemischen oder atomaren Werken oder auch Zugunglücke fordern viele Opfer, ein Schuldiger aber lässt sich oft nicht ausmachen. So auch in Eschede. Es gibt eigentlich keine Schuldigen mehr – nicht den Zugführer des Unglückszugs, der den Zug zum Teil per Computer, also eine weitere Maschine, steuerte, noch die Wartungsmänner, noch die Konstrukteure. Ebenso ist es bei einem Autounfall, den einer unschuldig erleidet, weil ein anderer einen Fehler gemacht hat; in der Todesanzeige steht dann, er sei einem tragischen Unfall zum Opfer gefallen. In der Welt der Maschinen gibt es keine Schuldigen, auch nicht die Maschine selbst – und ohne Schuld keine Sühne.

Peter Stanford hat eine große Menge an Material zusammengetragen. Da er zahlreiche Aspekte des Teufels berücksicht hat, musste er sich in der Länge begrenzen. Wenn er zum Beispiel auf den Teufel in der Literatur eingeht (Goethe, Dante, Milton etc.) wirkt das in seiner Kürze und Verknappung allerdings etwas abgehandelt.

Stanford arbeitet als Fernseh-, Rundfunk- und Zeitungsjournalist in London. Auf Deutsch erschien 1999 „Die wahre Geschichte der Päpstin Johanna“.

Peter Stanford: „Der Teufel“. Ausdem Englischen von Peter Knecht.Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2000,386 Seiten, 49,80 DM