„Die Kluft ist überbrückbar“

Mangel an Vertrauen zwischen beiden Seiten ist das größte Vertragshindernis, meint Historiker Jair Hirschfeld

taz: In der israelischen Öffentlichkeit wird der Ruf nach schärferen Maßnahmen lauter. Was verspricht man sich davon?

Jair Hirschfeld: Es gibt Leute, die reagieren gefühlsmäßig. Die israelische Präsenz in den palästinensischen Gebieten wird in den Osloer Abkommen festgehalten. Gewalt gegen sie bedeutet eine Vertragsverletzung. In Oslo gab es eine Verständigung über die angestrebte Trennung der Völker und den Staat Palästina, der per Abmachung gegründet werden sollte. Wir sind auf dem Höhepunkt der Verhandlungen, aber auch auf dem Höhepunkt einer Krise. Derzeit sind Prophezeiungen schwer. Fest steht, dass die Kluft in den Standpunkten nicht sehr tief ist. Problematisch ist es mit dem gegenseitigen Vertrauen. Beide Seiten müssen ein paar ernsthafte Schritte unternehmen, um das Vertrauen wiederherzustellen. Das ist nicht einfach. Es hat keinen Sinn, heute einen Vertrag zu unterschreiben, der morgen schon nicht mehr eingehalten wird. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, die Verträge nicht einzuhalten.

Sie kennen Arafat recht gut. Warum hat er in Camp David gekniffen?

In Camp David sind zwei Sachen passiert: Zunächst gab es einen entscheidenden Durchbruch hinsichtlich Jerusalems. Israel hat sich dramatisch der palästinsischen Position angenähert, umgekehrt ist Arafat der israelischen Position näher gekommen. Aber insgesamt war die Sache für Arafat nicht tragbar. Israel hatte die internationale Meinung hinter sich, und Arafat fühlte, dass er in eine Sackgasse geraten war. Die Folge war die Gewalt. Auf kurze Sicht hat Arafat damit erreicht, was er wollte: Die Weltöffentlichkeit steht wieder stärker hinter den Palästinensern. Gleichzeitig hat er auf interner palästinensischer Ebene die Kräfte wieder vereinigt, und er hat außerdem die klare Botschaft verkündet, dass er einen solchen Vertrag nicht akzeptieren kann. Diese drei Erfolge können allerdings temporäre sein. Ich glaube, dass Arafat versteht, dass es zu einem historischen Vertrag kommen kann. Die Frage ist, wie man den derzeitigen Mangel an Vertrauen, sowohl zwischen den Völkern als auch unter den Politikern, beheben kann. Die Kluft in den politischen Standpunkten ist überbrückbar.

Was ist davon zu halten, wenn Arafat in Katar vom Heiligen Krieg spricht und in Gaza vom Frieden?

Damit macht er es der israelischen Seite nicht leichter. Prinzipiell haben die Osloser Verträge festgelegt, dass die Gewalt von beiden Seiten unterbunden werden soll. Jeder Tag neuer Unruhen und Gewalt von Palästinensern und Israelis verschärft den Mangel an Vertrauen.

Die Tansim, Arafats Milizen, haben neue Gewalt vor allem gegen Siedlungen angekündigt. Wäre es nicht klug, isolierte Siedlungen schon jetzt zu evakuieren?

Die Osloer Verträge sehen vor, dass jeder Schritt nach Absprachen vollzogen wird. Sinn der Prinzipienerklärung war es, die gegenseitige Verantwortung zu manifestieren. Eine einseitige Evakuierung der Siedlungen wäre deshalb nicht sinnvoll. Sollte man die Verhandlungen fortsetzen und sich darüber einigen, dann können natürlich Siedlungen aufgelöst werden.

Arafat hat die Hoffnung geäußert, dass ein Endstatusabkommen noch bis zum Ende der Clinton-Ära erreicht werden könnte. Welche Auswirkungen hat der Wechsel im Weißen Haus auf die Friedensverhandlungen?

Wie immer der Wechsel ausfallen wird – ich glaube nicht, dass er große Folgen haben wird. Entscheidend ist der direkte Dialog zwischen beiden Seiten.

INTERVIEW: SUSANNE KNAUL