Die Simulation der Seelenreinigung

Film ab: Die texanische Indierockband And You Will Know Us By The Trail Of Dead wurde am Freitag im Knaack ihrem Ruf gerecht, eine der besten Livebands auf Erden zu sein – allerdings nur für die Leute in den letzten Reihen

Was sucht man eigentlich noch bei Rockkonzerten, wo man doch schon längst den Glauben an Authentizität, echter Emotionalität und was noch so zu den Urmythen von Rock gehört, verloren hat? Man sucht eine Form von Glaubwürdigkeit, die einen wenigstens einen Bandauftritt lang alle Zweifel vergessen lassen, lediglich einer Inszenierung beizuwohnen. Und über And You Will Know Us By The Trail Of Dead wurde im Vorfeld ihres Berlinkonzerts gemunkelt, dass sie tatsächlich die Band sein könnten, der man ihr exzessives Bühnengebaren als wahre Seelenreinigungs-Show abnehmen könnte. Man erwartete sich nichts weniger als die Reinkarnation des Rocks.

Und wurde in dieser Hinsicht natürlich enttäuscht. Doch ein gutes Konzert war es trotzdem. Wenn auch vor allem nur für diejenigen, die im ziemlich überfüllten Knaack-Club weiter hinten standen. Die sahen nämlich eine astreine Show mit Instrumententausch, Gitarrenarmschwingern, Mikroständerumwerfen. Zumindest wenn man sich auf die Zehen stellte und zumindest Ausschnitte davon. Von hinten sah man die Show als fertigen Film.

Weiter vorne jedoch wurde man zum unfreiwilligen Zeugen der simultan zur Filmvorführung in Echtzeit stattfindenden Dreharbeiten. Wer wann welches Instrument wo zu spielen hat, wurde scheinbar akribisch genau von auf der Bühne umherflatternden Zetteln abgelesen. Ein Wollmützenroadie sprang ständig auf der Bühne herum, um die Gitarren anzudienen, und sorgte dafür, dass der Mikroständer nach unsanfter Behandlung sofort wieder in Position gebracht wurde. Da erscheint dann schnell jede Teenlust- und Riotpose als Fake. Wer den Dreharbeiten zusieht, wer der Simulation im Entstehen beiwohnt, kann ihr nicht mehr glauben.

Deshalb war das Stehen in den hinteren Reihen eigentlich die einzige Möglichkeit, sich von der Showmaschinerie blenden zu lassen. Und dann hatte man auch echt seinen Spaß. Man sah genau das, was man erwartet hatte: Vier arrogant wirkende Jungs rockten, verschwanden aus dem Blickfeld, weil sie sich gerade auf dem Boden wälzten und betrieben mit großer Lust das Laut-leise-Gitarrenwandspiel, wie man es von den großartigen Konzerten Mogwais her kennt. Das Publikum wurde beschimpft, man fand sich selbst scheiße, irgendwann ging der Pogo ab, und selbst gestagedivet wurde mal wieder.

Dennoch bleibt der Eindruck des And-You-Will-Know-Us-By-The-Trail-Of-Dead-Berlinkonzerts ein zwiespältiger. Nach dem Auftritt gab es zwar aus den hinteren Reihen ein paar zaghafte Versuche, sich eine Zugabe zu erklatschen, doch ansonsten wollte einfach niemand mehr etwas vorgesetzt bekommen. Die Luft schien am Ende raus zu sein. Einen Film mit Überlänge wollte kaum jemand sehen. Weiter vorne hatten sie offensichtlich genug davon, lediglich einem „Making Of“ beizuwohnen. Und zu leise, so meckerten einige beim Aftershowbier, sei die ganze Sache auch gewesen. Es hätte der Auftritt der besten Liveband aller Zeiten werden sollen. Doch leider wurde es bloß einfach wieder ein Rockkonzert mehr. Wenn auch diesmal ein gleichzeitig gutes und schlechtes.

ANDREAS HARTMANN