swinging bridge in swinging london
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von RALF SOTSCHECK

Mit ihren Millennium-Projekten hat die britische Labour-Regierung gar kein Glück. Erst erlebte sie ein Fiasko mit der Jahrtausendkuppel, dem „Millennium Dome“, dessen Attraktionen so verschnarcht sind, dass das Megazelt am Jahresende wieder eingepackt werden muss. Dann konnte die „Millennium Bridge“, die Themsebrücke zwischen der Londoner City und der neuen Tate-Galerie, nicht richtig in Betrieb genommen werden. Die 60 Millionen Mark teure Brücke, auch „Lichthalm“ genannt, ist ein beeindruckendes Kunstwerk, nur für ihren eigentlichen Zweck leider völlig ungeeignet. Die Eröffnung im Juni ist unvergesslich: Eine riesige Menschenmenge watschelte wie eine Horde Enten über die Brücke – und zwar im Gleichschritt, wenn man überhaupt von Schreiten sprechen kann. Die Leute hielten sich aneinander fest und torkelten dabei wie Oktoberfestbesucher. Das Spektakel wurde live im Fernsehen übertragen, und zunächst glaubten die Zuschauer, die Stadtverwaltung habe aufgrund des feierlichen Anlasses Freibier ausgeschenkt. Die Architektengruppe, zu der auch Lord Norman Foster und Tony Fitzpatrick gehören, vermutete gar eine Massenpsychose.

Der Architekt Tony Fitzpatrick verbrachte dann 24 Stunden auf seinem Werk, gab sich aber vorsichtshalber nicht zu erkennen, weil man ihn sonst womöglich in die Themse geworfen hätte. Die Brücke schwankte nämlich wie ein Lichthalm im Wind. Fitzpatrick diagnostizierte bei den Fußgängern „unbeabsichtigtes Synchronwatscheln“ – möglicherweise eine neue olympische Disziplin, in der britische Athleten, die ja auf obskure Sportarten spezialisiert sind, eine Massengoldmedaille gewinnen könnten.

Die Architekten hatten den ersten Entwurf in einer Londoner Weinstube auf eine Papierserviette gezeichnet, was das Schwanken der Brücke aber nur unzureichend erklärt. Erhellend ist eher die Tatsache, dass der Entwurf auf Fosters Kindheitserinnerungen an eine Brücke bei Dan Dare basierte. Das ist eine Comicfigur vergangener Zeiten, aber man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er im Juni tausendfach wieder auferstanden ist.

Angeblich hält das Bauwerk selbst einem Erdbeben stand. Das bedeutet allerdings nicht, dass man auch hinüber laufen kann. Mit dem Menschenandrang hatten die Architekten nicht gerechnet. Auf vier Millionen Fußgänger im Jahr war die Brücke ausgerichtet, doch bereits am ersten Wochenende überquerten 500.000 Menschen das Kunstwerk. Die Stadtverwaltung musste eine Sicherheitsfirma damit beauftragen, nur eine bestimmte Anzahl von Menschen gleichzeitig auf das schwankende Ungetüm zu lassen. Der Andrang war jedoch so groß, dass die swinging bridge am nächsten Tag geschlossen werden musste.

Nun will man Stoßdämpfer einbauen. Das kostet nochmal rund 16 Millionen Mark, und es dauert mindestens sechs Monate, bis die entschärfte Brücke begehbar ist. In einem halben Jahr finden in Britannien voraussichtlich auch die Parlamentswahlen statt. Blair wäre gut beraten, wenn er das Wort „Millennium“ aus seinem Wahlkampfwortschatz striche.