Lienens Attacke

5:2 gegen Hansa Rostock: Tag der Narrenfreiheiten beim zweiten Sieg des 1.FC Köln seit Sessionsbeginn am 11.11.

KÖLN taz ■ Trainer sind geheimnisvolle Wesen. Etwa Kölns Ewald Lienen. Früher war er Mitgründer der Aktion „Sportler für den Frieden“ und eine Art Antikriegshetzer in der unpolitischen Bundesliga. Heute fordert er hingebungsvolle Aggressivität und sagt schon mal, ein Spieler müsse bereit sein „auf dem Platz zu sterben“ oder einen Gegner „auf die Aschenbahn fliegen“ zu lassen. Und dann wurde der doppelte taz-Neuabonnent Lienen (für sich und den aushäusigen Sohn Joscha) am Samstag gegenüber dem taz-Reporter in aller Öffentlichkeit gewalttätig. Ewald Lienen schlug zu. Doch davon später mehr.

Ein anderer sonderbarer Trainer ist Rostocks Friedhelm Funkel. In der ersten Halbzeit hatte er „ein gutes Spiel von beiden Seiten“ gesehen. Diese Erkenntnis beweist: Übungsleiter dürfen gelegentlich sagen, was sie wollen, und werden nicht schallend ausgelacht. Narrenfreiheit heißt so was. Die Wahrheit, jene auf dem Platz, sah anders aus. Beide Elfen hatten lange übervorsichtig mit einer Art Konterhoffnungstaktik gespielt, taten respektvoll wenig – und trafen fast nach Belieben, weil die Fehlerquote in den Abwehrreihen höher war als der Kölner Dom. Ein Nullnullspiel sozusagen, nur eben mit vielen duseligen Toren: mal per Kullerball (Lottner zum 2:2, mit rechts!), mal durch höfliches Beiseiteschreiten (Cichon beim 1:2). Nur die Stadionwurst war noch schlechter als das Spiel.

„Wir haben in der ersten Halbzeit katastrophal gespielt“, sagte Kölns Thomas Cichon später. Ja, und dennoch dreifach getroffen. Später gab sich Hansa auf und gestattete beim fünften Kölner Tor ein Liga-Novum: Kraftvoller Abwurf von Kölns Keeper Pröll; an der Mittellinie köpft sich Angreifer Timm den Ball selbst vor und pikelt ihn nach langem Sprint ins Tor (Lienen: „Ein Scorerpunkt für unseren Torwart“). Unerklärlich: Wie konnten diese lendenlahmen Defensivtölpel von der Ostsee in Leverkusen und München gewinnen?

Da sangen die Kölner Fans längst lauthals: „Wir sind nur ein Karnevalsverein.“ Vergangene Woche, am 11.11., hatten sie den HSV 4:2 vom Platz gefegt und Doppeltorschütze Dirk Lottner („Ich hätte den Dom umarmen können“) mehrfach die tiefe rheinische Dreifaltigkeit von Sessionsbeginn, Sieg und Glücksaufwallungen reflektiert. Jetzt, am 18.11., ein Datum „ohne tiefergehende karnevalistische Bedeutung“ (Stadionzeitung), der nächste Triumph. Wo soll das noch hinführen für den Aufsteiger nach zehn Punkten aus den letzten vier Spielen?

Erstmals war die FC-Aufsteigerelf ohne Neuverpflichtung aufgelaufen. Noch reden sie nicht vom Uefa-Cup. Aber müssen sich schon danach fragen lassen. Manager Hannes Linßen wiegelt ab: „Ach nein. Aber der fanatische Zusammenhalt ist zurückgekehrt. Mit jedem Sieg wird die Chance auf den Klassenerhalt natürlich größer. Damit wächst der Mut für Entscheidungen.“ Die Verpflichtung von Bayerns Thomas Strunz steht bevor.

Ach, die Gewaltattacke. Es war 18 Uhr 07. Sieger Ewald Lienen, bestgelaunt und Späße verbreitend, hatte seine vollgemalten Ringhefte Marke „Top Coach“ beiseite gelegt und äußerte sich mahnend zur Problematik Hassgesänge im FC-Block. „Natürlich lehne ich das ab. Aber in unserer Mediengesellschaft verbreitet sich das eben schnell. Wer weiß, vielleicht werden wir hier uns untereinander auch bald mit Arschloch-Wichser-Hurensohn anreden.“ Da entdeckte er den Autor dieser Zeilen, begrüßte ihn freundlich (ohne AWH-Vokabular), mäkelte noch etwas an der „Geschichte am Donnerstag über den Hans-Hubert, die war aber an der Grenze..., naja: Lei-bes-übun-gen“ und holte unvermittelt aus. Zack, prallte die flache Rechte gegen des Reporters Brust. Abstrafend aus Solidarität mit dem neuen Leverkusener Kollegen Vogts? Schierer Übermut? Eine neue Abschiedsgeste mit Leibesübung? Zwei Seelen, ach, kämpften in der geschlagenen Brust. Soll man dem Mitfinancier dieses Blattes böse sein? Die Abos wegen grober Respektlosigkeit kündigen lassen? Ach was, Trainer haben bei uns Narrenfreiheit. BERND MÜLLENDER

1. FC Köln: Pröll - Cichon (84. Baranek) - Cullmann, Sichone - Scherz, Dziwior, Lottner, Voigt, Springer - Timm (89. Kreuz), Kurth (75. Arweladze) FC Hansa Rostock: Pieckenhagen - Schröder, Jakobsson, Benken - Lange, Wibran, Brand, Lantz, Majak - Arvidsson, Agali Zuschauer: 27.000; Tore: 1:0 Cullmann (9.), 1:1 Arvidsson (24.), 1:2 Lange (28.), 2:2 Lottner (34.), 3:2 Kurth (41.), 4:2 Timm (49.), 5:2 Timm (71.)