bannmeile
: Fragestunde im Bundestag: Ist es wahr, dass nur 15 SPD-Abgeordnete die Rentenreform verstehen? Und wie wird die deutsche Binnenschifffahrt wettbewerbsfähig?

Hartmut Koschyks großer Auftritt

Es ist zwar zur Mittagsstunde ordentlich Betrieb an diesem Mittwoch, dem 132. Sitzungstag in der 14. Wahlperiode des Deutschen Bundestags. Doch wer hier nicht wirklich was zu tun hat und abseits der Besuchergalerie herumspaziert, am besten mit den Händen auf dem Rücken, muss auffallend häufig Personalausweis und Zutrittsberechtigung vorzeigen. The Parlamentspersonal is watching you! Kulturjournalist und Besucher zu sein ist im Reichstag eine eher ungewöhnliche Kombination, und Flaneure haben hier, wo alles sehr nüchtern und zweckmäßig wirkt und alle sehr busy und zielorientiert durch die Gänge schreiten, keine Chance.

Da fällt einfach auf, wer sich nur mal so die am Eingang ausliegenden Anwesenheitslisten für die Bundestagsabgeordneten anschaut, oder wer an dem Tisch entlangspaziert, wo bestimmt dreißig Stapel mit Beschlüssen, Anträgen, Gesetzentwürfen etc. ausliegen: Kiloweise Papier zu Rabattrechtsanpassungen, zur Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Binnenschifffahrt, zum Gesetz zur Bekämpfung gefährlicher Hunde.

Auch die Tagesordnung für diesen Mittwoch liegt aus: die Befragung der Bundesregierung und anschließend die zwei Stunden dauernde Fragestunde. Von einem „Plenum fast auf Tuchfühlung, zum Anfassen nah“ schwärmt eine Besucherbroschüre. Sitzt man aber einmal auf den Tribünen um das Plenum herum und verfolgt das Geschehen, ist es doch eher wie im Theater, nur dass die Bühne tiefer gelegt ist: wir hier oben und die da unten, die Umkehrung der gängigen Einschätzung des Volkes von „denen da oben“. Anfassen ist eben doch nicht, Fragen und Zwischenrufe sind ausdrücklich verboten.

Die Regierungsbänke sind leidlich besetzt, die Abgeordnetensitze nur vorn, dort, wo es Telefone gibt (in den ersten zwei Reihen) und Schreibpulte (in den ersten sechs Reihen). Als Bundestagsvizepräsident Hermann Otto Solms die Sitzung eröffnet, erheben sich alle. Walter Riester beantwortet höflich Fragen zur Rentenreform, eine komplizierte Angelegenheit.

Die Frage eines Abgeordneten, ob es stimme, dass überhaupt nur 10 bis 15 Leute aus der SPD-Fraktion die Rentenreform verstehen würden, beantwortet er nicht. Etwas voller wird der Plenarsaal, als drei Fragen – zusätzlich zu den sowieso auf der Tagesordnung stehenden des Abgeordneten Eckart von Klaeden – zu Reinhard Klimmt gestellt werden. Allerdings versprechen die Fragen und die knappen, emotionslos vorgetragenen Antworten des coolen, 34 Jahre alten Staatsministers Bury nicht gerade Aufhellung: „Kein Kommentar“, oder: „Ich wiederhole nochmal, Sie wissen das als Rechtsanwalt, dass in laufenden Verfahren die Unschuldsvermutung gilt.“

Die Opposition fragt, polemisiert, fordert, die Regierung hält sich bedeckt, das Ganze hat etwas sehr Rituelles, von wirklicher Bedeutung scheint dieses Frage-Antwort-Spiel nicht zu sein: Business as usual, die Entscheidungen fallen woanders.

Was auch die Soldaten in ihren blauen und grauen Uniformen bemerkt haben, die während der Fragen zum Fall Klimmt die Besuchstribünen verlassen. Die Zeit drängt, die Geschäftsordnung auch.

Als Solms zu den weiteren Fragen kommt, lichten sich die Reihen im Plenarsaal wieder. Einen ganz sicher guten Tag hat dann der CSU-Abgeordnete Hartmut Koschyk, der zwei Fragen, die nationalen und ethnischen Minderheiten und ihre Behandlung in der Tschechischen Republik betreffend, formuliert hat. Der sichtbar gut gelaunte Koschyk hat einen Fotografen dabei, der auf der Pressetribüne sitzt und von Koschyk dirigiert wird. Fotos für die Lokalzeitung zu Hause in Bayreuth, vielleicht für die Broschüre eines Vertriebenenverbandes.

Der Mann tut was, der ist aktiv im Bundestag, selbst wenn er nie ins Fernsehen kommt. Als Koschyk aufsteht, um seine ihm erlaubten zwei Zusatzfragen zu stellen, legt der Fotograf richtig los und verschwindet dann sofort, als die Frage des CDU-Abgeordneten Wolfgang Dehnel auf der Tagesordnung beantwortet wird: „Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, die Sicherheit der Bevölkerung vor besonders gefährlichen Sexualstraftätern zu verbessern?“

GERRIT BARTELS