Mit Sekt und Selters

Wallstreet Online steigt in den Aktienhandel ein. Die Internet-Broker eröffnen in Berlin ein Trading-Center mit Café und viel Atmosphäre

von JOCHEN SIEMER

Die Schallschutzfenster sind von allerbester Qualität. Kein Ton dringt durch die Scheiben, vor denen sich nicht nur das alltägliche Verkehrschaos des Leipziger- und Potsdamer Platzes abspielt, sondern auch eifrig mit Presslufthämmern, Kreissägen und anderen Lärmemittenten hantiert wird. „Ich bin gespannt, wie das hier in zwei, drei Jahren aussieht“, sinniert Ron Perduss, Sprecher der Wallstreet Online Trading GmbH. Ob er damit auch auf das Projekt abhebt, das sein Arbeitgeber gerade startet, verrät er nicht.

Doch generell scheint Optimismus angesagt zu sein. Die Düsseldorfer Wallstreet Online AG, im Januar 1998 aus der GIS Wirtschaftsdaten GmbH hervorgegangen, sammelt, bewertet und verteilt Informationen rund um das Börsenparkett. Neben der Belieferung zahlender Kunden steht das Geschäft mit Werbebannern auf den kostenlos zugänglichen Internetseiten. Die gehören zu den erfolgreichsten ihrer Art: Monatlich 40 Millionen Zugriffe, über 200.000 registrierte Nutzer und die Tatsache, dass sich täglich rund 500 neue Kunden anmelden, verursachen Expansionsdrang. Im März dieses Jahres entstand in Berlin das Tochterunternehmen Wallstreet Online Trading. Am heutigen Montag erfolgt der Start im Netz.

Die Neugründung soll brachliegende Potenziale nutzen. Rund zwei Drittel der „Community“, die sich bei Wallstreet Online mit Börsennachrichten versorgt, nutzt diese Informationen für eigene Geschäfte. Das jedenfalls schätzt Stefan Powels, einer der beiden Geschäftsführer von Wallstreet Online Trading. Sein Chef-Kollege Axel Herrmann beschreibt das typische Vorgehen so: „Die User erhalten bei uns Kurse, Trends und andere wichtige Nachrichten kostenlos und in Echtzeit. Danach gehen sie auf andere Seiten, also zu unseren Wettbewerbern, um dort zu handeln.

Verständlicherweise sann man auf eine Änderung dieses Schemas. Um selbst ins Trading-Geschäft einzusteigen braucht es allerdings eine Banklizenz, die in Deutschland (gottlob) nicht einfach zu bekommen ist. Als Partner fungiert deshalb die SEB direct GmbH, eine Tochter der BfG Bank AG, die wiederum dem schwedischen Bankkonzern SEB (Skandinaviska Enskilda Banken) gehört. Die Schweden sind mit 700.000 Kunden eine der führenden europäischen Internet-Banken. SEB direct wird alle bei Wallstreet Online Trading getätigten Geschäfte abwickeln. „Wir selbst“, betont Stefan Powels, „sind keine Bank. Wir liefern nur die Plattform.“

Auf dieser Plattform, den Internetseiten also, sollen die Kunden aktuell wichtige Informationen möglichst kompakt dargeboten bekommen. Hinter den Einschätzungen der jeweiligen Werte steht dann ein „Kaufen/Verkaufen“-Button, der nur noch angeklickt werden muss. Im Prinzip ist das schon alles – vorausgesetzt, der Internet-Broker hat sich zuvor nicht nur registrieren lassen, sondern auch bei SEB direct ein Konto mit ausreichendem Guthaben angelegt. Diese Bonität wird permanent überwacht, damit niemand für ein attraktives Aktienpaket 100.000 Mark ausgibt, die er gar nicht hat. Umgekehrt wird jeder Verkauf sekundenschnell dem Konto gutgeschrieben.

Die Geschäftsidee ist also nicht neu, doch nach Meinung ihrer Urheber trotzdem viel versprechend. Sie setzen auf die engagierte und aufgeschlossene Wallstreet-Online-Gemeinde, die in den Internet-Foren bereits seit geraumer Zeit begeistert über die angekündigte Expansion diskutiert. „Unsere User leben Wallstreet Online“, schwärmt Pressesprecher Perduss von dem ganz speziellen Gemeinschaftsgefühl. Bis Ende nächsten Jahres sind 40.000 Kunden und damit der „Break-even-Point“ des Unternehmens angepeilt.

Der Standort an der – jedenfalls nach Abschluss der Bauarbeiten – repräsentativen Adresse am Leipziger Platz 11 soll auch einer weiteren Geschäftsidee zum Durchbruch verhelfen. Am 4. Dezember eröffnet ein „Trading-Center“ mit insgesamt 68 Computerplätzen. Anstatt ihre Transaktionen vom heimischen Schreibtisch aus zu erledigen, sollen die Kunden sich hier dann für 1.200 Mark monatlich einmieten.

Ein auf den ersten Blick wenig einleuchtender Gedanke, doch auch hier geht es um ein ganz spezielles Publikum. Schon der Name „Trading-Center“ soll den Unterschied zu den unter dem Begriff „Day-Trading“ bekannten Konkurrenten verdeutlichen. Nicht Termingeschäfte für mehr oder minder sachkundige Gelegenheitsspekulanten, sondern professioneller Aktienhandel ist das Ziel. Neben dem Service – Software, Standleitungen, technische Unterstützung und Beratung durch ständig präsentes Personal – setzt das Trading-Center vor allem auf die Atmosphäre; gewissermaßen eine Börse im Kleinformat, mit permanent kursierenden Informationen und Gelegenheit zum Gedankenaustausch. Hinzu kommen wechselnde Seminarangebote sowohl für Fortgeschrittene als auch für Neueinsteiger, die sich hier Basiswissen verschaffen sollen, bevor man sie in die Welt steigender und fallender Notierungen entlässt.

Zur viel beschworenen Atmosphäre gehört auch ein Café, das natürlich „trad:in“ heißen muss. Eine halbe Stunde vor Börsenbeginn, um 7.30 Uhr, kann man sich hier mit einer Tasse Kaffee stärken. Wenn um 22 Uhr der letzte Deal getätigt ist, bleiben noch zwei Stunden: „Wenn man einen guten Trade hatte, will man ja vielleicht auch mal ein Glas Champagner trinken“, meint Stefan Powels. Welche Getränkewahl er für weniger geglückte Geschäfte empfiehlt, bleibt sein Geheimnis.

Info: www.wallstreet-online.de