Kampf gegen die „systematische Lüge“

■ Die russische Menschenrechtlerin Jelena Bonner erhält den Bremer Hannah-Arendt-Preis

Am kommenden Samstag wird im Bremer Rathaus zum sechsten Mal der Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken verliehen. Preisträgerin in diesem Jahr ist die russische Menschen- und Bürgerrechtlerin Jelena Bonner.

Die 1923 geborene Russin hat schon in der Kindheit Erfahrungen mit dem stalinistischen System gemacht als ihre Eltern 1937 als „Verräter“ inhaftiert wurden. Der Vater wurde ein Jahr später exekutiert.

Ihr Engagement als Bürgerrechtlerin begann allerdings erst 1968 als Reaktion auf den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die damalige Tschechoslowakei. 1970 lernte sie durch ihre Aktivitäten den Menschenrechtler Andrej Sacharow kennen. Ein Jahr später heirateten die beiden.

In den 70er und 80er Jahren wurden Sacharow und Bonner zu den prominentesten Bürgerrechtlern der Sowjetunion. Repressionsmaßnahmen wie die Verbannung nach Gorki und Ausreiseverbote in den Westen blieben nicht aus. Nach dem Tode ihres Mannes 1989 widmete sich Jelena Bonner der Veröffentlichung seiner Schriften. Sie selbst schrieb in zwei Büchern ihre eigenen Memoiren nieder.

1993 wurde die engagierte Russin vom damaligen russischen Präsident Boris Jelzin in eine Menschenrechts-Kommission berufen. Der Beginn des ersten Tschetschenien-Krieges veranlasste sie aber, diese aus Protest bereits 1994 wieder zu verlassen. Auch heute äußert sich Bonner immer wieder kritisch in der Öffentlichkeit über fehlende Demokratie in Russland.

Der Jury sei es vor allem darum gegangen, das „Lebenswerk einer Kämpferin für Menschen- und Bürgerrechte“ zu ehren, so Frau Professor Grunenberg, Mitglied der Jury des Hannah-Arendt-Preises. Dabei hätte Jelena Bonner eine „besondere Sensibilität für totalitäre Züge in halbdemokratischen Strukturen“ bewiesen.

Nachdem der Preis in den letzten Jahren ausschließlich nach Westeuropa vergeben worden war, will die Jury mit der diesjährigen Verleihung für ein neues Europa werben und jüngere Menschenrechtsgruppen, nicht zuletzt die Nachfolgergeneration Bonners, ermutigen.

Bonner wehrte sich immer wieder gegen die einseitige Betrachtung der russischen Politik durch den Westen. Dabei hätten stets sicherheitspolitische Aspekte im Vordergrund gestanden. Die Förderung von Menschenrechtsgruppen wurde aber als stabilitätsgefährdend abgelehnt, so Dr. Lothar Probst, ebenfalls Mitglied der Jury.

Bonner wird nicht müde, auch die aktuelle russische Regierung unter Präsident Vladimir Putin immer wieder für ihre autokratischen Tendenzen zu kritisieren. Die An-knüpfung an Hannah Arendts Gedanken findet die Jury bei Bonner vor allem im Kampf gegen die „sys-tematische, politische Lüge“, die die Bürger nicht nur in Halbdemokratien durchbrechen müssten.

Hanna Domeyer

Am Freitag stellt sich die Preisträgerin mit einem Vortrag um 19.30 Uhr im Domkapitelsaal vor. Am Samstag gibt es im Rathaus eine Tagung zum Thema „Lüge und Wahrheit in der Politik“.