Europas Truppe: Wer soll die bezahlen?

Die Union will zwar eine eigene Eingreiftruppe und die dafür nötigen Waffen, zu einer Erhöhung der Militärausgaben sind die Mitgliedsstaaten bisher jedoch nicht bereit. Dies zeigt eine neue Studie, die für die Nato erstellt wurde

GENF taz ■ Ohne eine erhebliche Steigerung der Militärausgaben und eine bessere Kooperation bei der Rüstungsbeschaffung bleibt die „Europäische Sicherheits-und Verteidigungspolitik“ (ESVP) eine Illusion. Zu diesem Ergebnis kommt der Luxemburger Sicherheitspolitiker Paul Helminger, der für die Nato eine Studie über die Trends bei den Militäretats in den 19 Mitgliedsstaaten erstellte.

Der entscheidende Anstoß für die ESVP war der Luftkrieg der Nato gegen Jugoslawien. Wie nie zuvor seit Gründung der Allianz vor 50 Jahren spürten die Europäer in diesem Krieg die Dominanz der USA. Die Amerikaner bestimmten alle strategischen und operativen Entscheidungen; sie stellten 70 Prozent der Kampfflugzeuge, 80 Prozent der Raketen und Bomben und 150 der eingesetzten 200 Tankflugzeuge. Und vor allem: Die USA verfügten als einziges Nato-Land über Satellitensysteme, mit denen sie rund um die Uhr über sämtliche Vorgänge auf dem Territorium Jugoslawiens informiert waren. In vielen Fällen gab Washington diese Informationen nicht an die Verbündeten weiter, was Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping damals besonders empörte.

Nun will sich die EU all die militärischen Kapazitäten zulegen, die für die Dominanz der USA im Luftkrieg ausschlaggebend waren: neue Kampfflugzeuge, lasergeführte Raketen sowie ein eigenes Satellitenaufklärungssystem. Aber auch einen Bodenkrieg will die EU künftig notfalls ohne Beteiligung der USA führen können. Bis 2003 soll eine 60.000 Mann starke Interventionstruppe einsatzbereit sein.

In Brüssel errichtet die EU derzeit einen gemeinsamen Militärstab ihrer Mitglieder, ein militärisches Lagezentrum und eine Kommandozentrale. Dies alles parallel zu den entsprechenden Einrichtungen der Nato. In der Studie Helmingers wird dieses ehrgeizige Programm ohne Einschränkung bejaht. Die Frage, ob die Entwicklung der EU zu einer Militärmacht – statt verstärkter Anstrengungen zivile Konfliktprävention – die angemessene Antwort auf Krisen innerhalb und außerhalb Europas ist, wird hier nicht gestellt. Was der Bericht kritisiert, ist die „fehlende Courage“ der EU-Regierungen, gegenüber ihren Bürgern die Kosten für das beschlossene Militarisierungsprogramm zu benennen, und ihre mangelnde Bereitschaft, für dieses Programm mehr Geld in den nationalen Militäretats bereitzustellen. Denn die Militärausgaben der europäischen Nato-Staaten sind zwischen 1990 und 98 inflationsbereinigt um 17 Prozent gesunken. Im laufenden Jahr betragen sie nur noch zwei Drittel des amerikanischen Militärhaushalts. In den USA blieben die Ausgaben bis 1998 konstant und steigen seitdem wieder leicht an.

Noch relevanter ist die Effizienz der Rüstungsausgaben. Nach Darstellung von US-Verteidigungsminister William Cohen schaffen die Europäer mit zwei Dritteln der Militärausgaben der USA lediglich 10 Prozent der Effizienz, die die Amerikaner erzielen. Hauptgrund für den Unterschied ist laut der neuen Studie die mangelnde Kooperation der europäischen Staaten bei Entwicklung, Produktion und Beschaffung von Rüstung. Trotz aller Bekundungen der EU-Staaten zu größerer Gemeinsamkeit und trotz einiger Fusionen von Rüstungsfirmen insbesonders im Luftfahrtbereich bleibe „Sicherheit nach wie vor die am hartnäckigsten verteidigte Bastion nationaler Souveränität“.

Alle EU-Staaten sollten zusätzlich 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts für investive Militärausgaben bereitstellen, hatte Frankreichs Verteidigungsminister Alain Richard seinen 14 Amtskollegen letztes Jahr auf einer Tagung im portugiesischen Sintra vorgeschlagen. Der Vorschlag blieb Makulatur.

ANDREAS ZUMACH