Naumann lehrt Verfassungsfolklore

Was Kulturstaatsminister Michael Naumann von der Kulturhoheit der Länder hält, hat er mit seiner Intervention im Berliner Opernstreit gezeigt. Sein Hofdirigent kann bleiben, die Oper der Neuen Mitte ist gesichert, und dass die anderen Opern jetzt erst recht in Problemen stecken, interessiert ihn nicht

von RALPH BOLLMANN

Der Umzug nach Berlin zeigt Wirkung. Mit Kultur hatten deutsche Politiker in der Abgeschiedenheit der Bonner Rheinauen nichts im Sinn. Seit sich aber die Kulturkolosse verlockend mitten im Regierungsviertel räkeln, hat sich das gründlich geändert – zumal die CDU eine neue Parteichefin hat, die nichts lieber tut, als sich sommers in Bayreuth vier Tage lang an Wagners „Ring“ zu ergötzen.

Am vorvergangenen Sonntag konnte Angela Merkel ihrer Wagner-Liebe wieder frönen. Die Staatsoper gab Wagners „Tristan“, Daniel Barenboim dirigierte, und die Bundesprominenz strömte zahlreich in das vom örtlichen Kultursenator arg gebeutelte Haus. Die Darbietung machte bei den Damen und Herren gehörig Eindruck. In Bezug auf Barenboim war sich Merkel in der Pause mit SPD-Staatsminister Michael Naumann völlig einig. „Halten“, hieß nun die Parole – auch wenn Senator Christoph Stölzl längst für „Abstoßen“ optiert hatte.

So geschah es vier Tage später. Der Haushaltsausschuss des Bundestages bewilligte für die Orchestermusiker jenes Plus von 3,5 Millionen Mark, an dem Barenboims Verbleib in Berlin scheinbar gescheitert war.

Scheinbar. Denn gegen die weit mehr als 200 Millionen Mark, die das Land Berlin pro Jahr für seine drei Opernhäuser ausgeben muss, fällt die Gabe des Bundes nicht weiter ins Gewicht. Das Problem hat Naumann also nicht gelöst, er hat nur jene Lösung unmöglich gemacht, die Stölzl bislang ins Auge gefasst hatte: De facto sollte Barenboims Haus nach dem Weggang des Maestro der Westberliner Deutschen Oper einverleibt und als Schmuckkästlein für die musikalischen Kleinformate zwischen Barock und Belcanto genutzt werden.

Daraus wird wohl nichts, und das Scheitern dieses Plans ist symptomatisch nicht nur für die politische Unerfahrenheit des bisherigen Museumsdirektors Stölzl – sondern für die Hilflosigkeit der Berliner Stadtpolitik insgesamt im Umgang mit dem Bund, der zunehmend in die Rolle des Berliner Hausherren hineinwächst.

Selten hat ein Kulturpolitiker mit einem so geringen Geldbetrag eine so große Wirkung erzielt, wie es Naumann mit seinem Millionengeschenk jetzt gelungen ist. Das Geld, das Barenboim gefordert hat, ist da: Diese Botschaft kommt in der Öffentlichkeit an – da kann Stölzl noch so wortreich die komplizierte Wahrheit verkünden. Die Art und Weise, wie sich Berlin in dieser Frage vom Bund vorführen ließ, deutet auf ein beträchtliches Gefälle, was die Professionalität in taktischen Fragen wie im Umgang mit der Medienöffentlichkeit betrifft.

Aber auch inhaltlich nimmt sich der Plan, die Staatsoper auf kaum verhüllte Weise abzuwickeln, im Nachhinein weniger überzeugend aus, als es in der Logik der Sachzwänge zunächst schien. Wer in den Kategorien von Orchestergrößen und Sitzplatzkapazitäten rechnete, konnte in der Tat nur zu einem einzigen Ergebnis kommen: Aufwändige Wagner-Inszenierungen lohnen sich nur im Westberliner Nachkriegsbau mit seinen 1.900 Plätzen, während das Ostberliner Traditionshaus mit nur 1.400 Plätzen den passenden Rahmen für Barock oder Bellini abgibt.

Diese kühle Rechnung freilich ließ alle anderen Rahmenbedingungen außer Acht. Da genügt schon ein Blick auf das Publikum, das die beiden Häuser an einem beliebigen Opernabend aufsucht: In der Staatsoper ist alles auf die „Neue Mitte“ eingestellt, während an der Deutschen Oper Wilmersdorfer Witwen im Blümchenkleid frenetisch die angestaubten Inszenierungen aus den Siebzigern beklatschen. Selbst mit einem völlig neuen Konzept bliebe ein völliger Austausch der Besuchergruppen angesichts der neuen Berliner Geografie höchst schwierig. Das falsche Haus am falschen Platz – das bleibt die Crux der Berliner Opernpolitik.

An dem Versuch, den Bundespolitikern und ihrem Apparat die gerade erst lieb gewonnene Hofoper schon wieder wegzunehmen, hat Stölzl sich verhoben. Jetzt bleibt ihm nur der Ausweg, sich dem Bund voll und ganz in die Arme zu werfen: Wenn Naumann, Stölzl & Co. die Staatsoper aus Eigeninteresse mit einer Veränderungssperre belegen, dann sollen sie auch dafür zahlen. Bislang hat Naumann eine solche „Bundesoper“ strikt abgelehnt. Auf diesem Feld aber ist er es, dem allmählich die Argumente ausgehen: Schließlich hat er die Kulturhoheit der Länder gerade erst zur bloßen „Verfassungsfolklore“ erklärt und mit seiner Berliner Opernintervention auch gleich vorgeführt, was er damit meint.