Sprung auf den Zug der Zeit

Das multinationale Wehkamp-Eisschnelllaufteam holt Olympiasieger Johann Olav Koss als Berater und treibt die Etablierung kommerzieller Privatteams mit Athleten aus diversen Ländern weiter voran

aus Heerenveen EGON BOESTEN

Ein holländischer Belgier als Top-Mann, dazu ein zum Österreicher mutierter Niederländer, zwei Russen, ein junger Holländer, der im nächsten Jahr für Belgien startet, sowie ein kanadischer Weltrekordler, der sich nach vielen Wochen Bemühungen für das neue multinationale Team qualifiziert hat: Die Eisschnelllaufwelt ist dabei, sich auf den Kopf zu stellen. Nationalmannschaften gibt es nur noch auf dem Papier, die Verbände verlieren an Einfluss, der Trend geht zu kommerziellen Teams wie im Radsport oder neuerdings auch im Springreiten.

Das holländische Wehkamp-Team ist beileibe nicht die einzige privat finanzierte Mannschaft im Eisschnelllauf. Der Amerikaner Peter Mueller leitet und coacht die SpaarSelcet-Mannschaft um Welt- und Olympisieger Gianni Romme. Rintje Ritsma ist Kapitän von TVM. Das neue DSB-Schaatsteam des legendären Jugendtrainers Leen Pfrommer (mit Ids Postma, Sprintstar Jan Bos und der Doppelolympiasiegerin Marianne Timmer) wird finanziert von Dirk Scheringa, Macher beim Erstliga-Fußballklub AZ Alkmaar und erfolgreicher Bankmanager.

Pionier dieser Entwicklung war Rintje Ritsma, der dem Namen Sanex seit Mitte der 90er-Jahre im Land, wo Eisschnelllauf Nationalsport ist, zu einem Bekanntheitsgrad von an die 100 Prozent verhalf. Seine Auseinandersetzungen mit dem mächtigen niederländischen Verband KNSB (Koninklijk Nederlandse Schaats Bond) ebneten den kommerziellen Teams den Weg. Inzwischen prangen die Namen der Privatsponsoren auf den hautengen Eisschnelllauf-Anzügen, das Jahressalär der Stars wird auf bis zu eine Million Gulden (900.000 Mark) geschätzt. Peter Mueller, Coach bei Spaar Select: „Eisschnelllaufen ist in den Niederlanden Big Business.“

TVM-Manager Patrick Wouters begrüßte vor der Saison den mit dem Verband ausgehandelten Kompromiss: „Wichtig ist, dass die kommerziellen Teams jetzt ernst genommen werden.“ Gemeinsame ganzseitige Anzeigen in den großen überregionalen Tageszeitungen und ein Hochglanz-Präsentationsprospekt lassen den Stellenwert des schnellsten Individualsports erkennen. Markus Eicher, Trainer der deutschen Kronprinzessin auf den langen schmalen Kufen, Anni Friesinger, reagiert gelassen auf diese Entwicklung: „Das ist der Zug der Zeit.“ Und dass die Inzellerin, die mit Ids Postma befreundet ist, zu den Ersten gehören wird, die in ein entsprechendes Team wechseln, wollte Eicher nicht unbedingt dementieren.

Dass die zunehmende Bereitschaft der Verbände, kommerzielle Trainingsgruppen zu akzeptieren, auch ihre Kehrseiten hat, bekam jüngst Peter Mueller zu spüren. Während er auf internationalen Bahnen ohne große Probleme Trainingsrennen durchführen kann, hält man in den Niederlanden in den Hallen die Hand auf. Mehr als 10.000 Mark sollte Spaar Select berappen, um die Form von Romme, Wennemars und Co. zu überprüfen.

Das Team Wehkamp hat zur Akzeptanz der kommerziellen Teams einen weiteren Schritt getan. Johann Olav Koss, dreifacher norwegischer Olympiasieger von Lillehammer, ist Berater in der Mannschaft seines Freundes Bart Veldkamp. Ein PR-Gag? Veldkamp meint: „Nein, wir werden ihm in den nächsten Tagen die Videobänder zusenden und Johann wird sie analysieren.“ Koss lebt mit seiner Frau in den USA und wird erst im nächsten Jahr zur Mannschaft stoßen: bei einem Trainingscamp in Davos, beim Weltcup und schließlich bei der Einzelstrecken-WM in Salt Lake City im März. Der Unicef-Botschafter hat Veldkamp, mit 34 der Oldie im internationalen Eisschnelllauf-Zirkus, aber bereits einen Tipp gegeben: „Auf jeden Fall laufen, so lange es geht.“ Er, Koss, habe mit 28 viel zu früh aufgehört.

Von Veldkamp wird man also noch viel hören. Der Mann aus Den Haag tauscht im Dezember die Eisbahnen in Holland und Deutschland mit den südafrikanischen Bergen: Höhentraining. Und nach dem traditionellen Herbstcamp in Inzell ließ er die Fachwelt wissen, er konzentriere sich mit seiner Mannschaft „auf die 8.000 Meter“. Keine neue Eisschnelllauf-Distanz, sondern Bergsteigen im Himalaja als zentrales Trainingsthema. Veldkamp: „Auch da muss man sich – wie beim Eisschnelllauf – auf jeden Schritt konzentrieren.“