Europas Dealern auf der Spur

„Nach drei Jahren durfte ich an einer Vernehmung in der Schweiz teilnehmen“

von KLAUS WITTMANN

Der Tipp war heiß. Wochenlang hatten Spezialfahnder die große Lagerhalle bei Viersen am Niederrhein observiert. Immer wieder kamen Lastzüge in das Industriegebiet – mit Torf aus Lettland und palettenweise leeren Zehn-Liter-Blecheimern aus Italien.

Schnell war klar: Hinter den Torfladungen waren Schmuggelzigaretten versteckt und in der Lagerhalle wurde die Ware in die Eimer eingeschweißt. Die waren mit „Sauerkraut aus deutschen Landen“ und „Oliven aus Italien“ etikettiert.

Die geschmuggelten Zigaretten „Regal“ und „Superking“ gehören zu den begehrtesten Marken auf dem englischen Schwarzmarkt. Und der boomt besonders, seit dort die Schachtel knapp 15 Mark kostet.

Als in Viersen die Zollfahnder zuschlugen, nahmen sie 22 Personen fest und beschlagnahmten 50 Millionen Zigaretten sowie Fahrzeuge und technische Ausrüstung. Insgesamt konnte den Schmugglern eine Gesamtmenge von 224 Millionen Zigaretten nachgewiesen werden. Das heißt, auf einen Lastkraftwagen entfielen im Schnitt 448 Kartons mit je 50 Stangen Zigaretten.

Zigarettenschmuggel ist längst kein Kavaliersdelikt mehr. Ein Blick auf die hohen Steuerausfälle verdeutlicht das. Die offiziellen Schätzungen für die Bundesrepublik Deutschland liegen zwar seit 1995 unverändert bei einer Milliarde Mark jährlich. Doch der Augsburger Oberstaatsanwalt Hans-Jürgen Kolb hat da ganz andere Erkenntnisse. „Ich weiß inzwischen, dass der Schaden bei vier Milliarden Mark jährlich alleine in Deutschland liegen dürfte.“

Der Einsatz von Viersen ist nur einer von vielen Ermittlungserfolgen innerhalb der Europäischen Union. Deutschland gilt nach wie vor als eine Drehscheibe im internationalen Zigarettenschmuggel; ebenso Italien, hier insbesondere die Adriaküste von Apulien, berichtet der Sprecher des Zollkriminalamtes, Leonhard Bierl.

Einige deutsche Fahnder sind seit Jahren europaweit aktiv und hochangesehen wegen ihres Hintergrundwissens über die Strukturen des Zigarettenschmuggels. So ist es beispielsweise durch die Mithilfe des Chefs der Lindauer Zollfahndung, Günther Herrmann, gelungen, die Schmuggelrouten von den Herstellungsorten über europäische Freihäfen wie Rotterdam und Hamburg nach Montenegro und von dort mit Schnellbooten nach Italien nachzuweisen. Ebenso eine Tour über Schweizer Freilager nach Serbien.

In enger Zusammenarbeit mit den italienischen Kollegen wird seither versucht, der bestens organisierten Zigarettenmafia wenigstens hin und wieder in die Parade zu fahren.

Eine wirklich effektive Bekämpfung scheitert, bislang zumindest, an der unzureichenden Rechtshilfe bei der Strafverfolgung. Vor allem das Nicht-EU-Land Schweiz stellt sich immer wieder quer.

Einer, der davon ein Lied zu singen weiß, ist der Augsburger Oberstaatsanwalt Kolb. Der stellvertretende Behördenleiter der Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität gilt als Experte, was internationalen Zigarettenschmuggel angeht. 1994 reichte er die erste Klage gegen einen internationalen Schmugglerring ein. Was damals in Deutschland von nicht wenigen Kollegen mitleidig belächelt wurde, hatte Erfolg. Sein Aufsehen erregender Ansatz bestand darin, die geltende Abgabenverordnung konsequent anzuwenden. Zwar gab es den entsprechenden Paragrafen 370 schon lange. Doch nie zuvor wurde er im Zusammenhang mit dem „Kavaliersdelikt Zigarettenschmuggel“ angewandt. In dem viel beachteten Verfahren gelang es Kolb, zwei französische Fernfahrer vor Gericht zu bringen. Die Verurteilung durch das Landgericht Augsburg zu dreieinhalb Jahren Haft hielt auch der Revision vor dem Bundesgerichtshof stand. Der Beweis war erbracht, dass man diesen Tätern mit geltendem Recht beikommen kann.

Kolb und der Chef der Lindauer Zollfahndung, Günther Herrmann, konzentrierten sich fortan darauf, hinter die Strukturen des internationalen Zigarettenschmuggels zu kommen. Heute wissen sie um die Gliederung des Marktes in vier Hierarchiestufen, wenn man einmal den so genannten Ameisenhandel, also die Kleinverteiler außer Acht lässt. „Da wäre zunächst die Ebene der Fahrer und Spediteure“, erläutert Staatsanwalt Kolb. „Dann kommen die Vermittler und darüber die Treuhänder.“ Bei ihnen handelt es sich meist um Schweizer Mittelsmänner, die Gelder aus schmutzigen Geschäften waschen. Hinter einer dieser „Schweizer Waschanlagen“ verbirgt sich eine Wechselstube in Lugano im Tessin, von wo aus die Millionengewinne an verschiedene Schweizer Banken überwiesen werden.

Die vierte Hierarchiestufe, die Gruppe der Bosse, besteht nur aus etwa 20 Personen. Von ihnen können die Ermittler, trotz konkreter Vermutungen, nicht mit Bestimmtheit die Namen sagen. Fest steht jedenfalls: Diese Bosse lassen Auftragsmorde durchführen (siehe Kasten).

Doch der Zugriff auf die Verdächtigen wird von den Schweizer Behörden immer wieder abgeblockt. Staatsanwalt Kolb reiste dieser Tage gemeinsam mit seinem Kollegen Herrmann von der Zollfahndung in die Schweiz, um erneut zu versuchen, Ermittlungen voranzubringen. „Ich habe dort im Jahr 1997 ein Rechtshilfeersuchen gestellt“, berichtet Kolb. „Im Juli 2000 durfte ich endlich an einer Beschuldigtenvernehmung teilnehmen.“ Auch seine Bitte, an Durchsuchungsaktionen in der Schweiz teilnehmen zu können, wurde strikt abgelehnt. Und selbst für ihren internen Einsatz ließen sich die dortigen Behörden reichlich Zeit – ganze drei Jahre.

„Der Schaden liegt allein in Deutschland bei vier Milliarden Mark jährlich“

Auch Italien ist mit der Zusammenarbeit der Schweizer Behörden höchst unzufrieden. Die Auslieferung des im Tessin verhafteten Gerardo Cuomo zum Beispiel wird immer wieder verzögert. Cuomo gilt als mutmaßlicher Boss des italienischen Zigarettenschmuggels. Jahrelang dirigierte der gebürtige Neapolitaner weitgehend ungestört die Zigarettenschmuggelkonvois quer durch Europa. Kein Wunder, zählt doch sogar der abgelöste oberste Strafrichter im Tessin, Franco Verda, zum Freundeskreis von Gerardo Cuomo.

Selbst der italienische Finanzminister Del Turco hat der Schweiz bereits mehrfach mangelnde Kooperation im Kampf gegen den internationalen Zigarettenschmuggel vorgeworfen.

Staatsanwalt Kolb ist gerade dabei, in einem weiteren Fall Anklage zu erheben – Schadenssumme hier: 160 Millionen Mark, die bei rund 100 Transporten, diesmal über Ungarn, entstanden ist. In Kürze wird er die Anklageschrift verfassen. Diesmal wird ein Mitglied des „Clubs der Zwanzig“, gemeint sind die Treuhänder, mit auf der Anklagebank sitzen.

Trotz einer zu erwartenden Verurteilung bleibt dem Ankläger Kolb die Einsicht, die ganz großen Fische noch längst nicht im Netz zu haben. Nur zögernd äußert er sich zu den immer wieder erhobenen Vorwürfen gegen die Tabakmultis.

Erst Anfang November hat die EU-Kommission zwei von ihnen vor einem amerikanischen Zivilgericht der Beihilfe am Zigarettenschmuggel beschuldigt (siehe Kasten).

Trotz der Vermutung, ohne Mithilfe der großen Tabakkonzerne könnten niemals die immensen Mengen an Schmuggelzigaretten in Umlauf gelangen, konnte zumindest den deutschen Tabakkonzernen bislang eine konkrete Mitwirkung an den Schmuggelgeschäften nicht nachgewiesen werden.