Alarmierende Zahlen

Rechtsgerichtete Straftaten nehmen dramatisch zu. Schily legt neue Statistik vor

WIESBADEN taz■ Zur gestrigen Eröffnung der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes (BKA) zum Thema Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit stellte der Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Michel Friedman (CDU), unbequeme Fragen: Warum werben erst jetzt alle gesellschaftlichen Kräfte für den Kampf gegen rechte Gewalttäter und Antisemiten? Warum stellte diese Gesellschaft auch nach 1949 bekennende Nationalsozialisten nicht ins Abseits, sondern integrierte sie?

In seinem Festvortrag stieg Friedman noch tiefer hinab in die deutsche Geschichte. Als er in den 60er-Jahren von Frankreich nach Deutschland gekommen sei, hätten ihm alle älteren Deutschen versichert, dass sie „Auschwitz nicht gewollt“ hätten. „Aber reichte nicht das schon, was vor Auschwitz alles passiert war?“, fragte Friedman.

Solche Nachdenklichkeiten breitete Innenminister Otto Schily nicht vor den 300 Polizei- und Justizexperten aus. Er verknüpfte die Zuwanderungsdebatte mit der Diskussion um den richtigen Weg beim Kampf gegen den Rechtsradikalismus. „Bei ungesteuerter Zuwanderung“ würden im Aufnahmeland „Spannungen und Konflikte“ provoziert, sagte Schily. Die Republik brauche deshalb ein „umfassendes Integrationskonzept“. Zum Thema Rechtsextremismus nannte Schily neue Zahlen. In den ersten neun Monaten wurden rund 10.000 rechtsgerichtete Delikte gezählt – von Hakenkreuzschmierereien bis zu Morden. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der rechtsgerichten Straftaten um 8,9 Prozent auf 649 Vorfälle. Vor allem bei Gewalttaten gegen Fremde habe die Rate um 20 Prozent zugelegt, vermerkte Schily. Er erklärte, zugleich liege die Aufklärungsrate unverändert hoch bei 78 Prozent.

Schily gestand gestern ein, in den vergangenen Jahren habe es „Erfassungsdefizite“ gegeben. Deswege erarbeite zurzeit eine Projektgruppe aus BKA- und LKA-Experten neue verbindliche Kriterien für die Zuordnung von Straftaten. Zentrale Erfassungsstelle soll das BKA werden. Das BKA soll verstärkt bei Kapitalverbrechen, die von Mitgliedern der rechten Szene begangen werden, gesetzt werden. BKA-Präsident Ulrich Kersten begrüßt das. Sein Amt werde nach „neuen Ansätzen und Wegen“ zur Bekämpfung des Rechtsextremismus „in all seinen widerwärtigen Erscheinungsformen“ suchen, versprach Kersten.

KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT