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: In Berlin gibt es mal wieder einen Trend: New Pogo

Die neue Härte

Nachdem der Sommer zerschmettert wurde, so wie das Ideal von Menschlichkeit im Krieg zerschmettert wird, zeigt der Winter in diesen Tagen sein schreckliches Gesicht. Spontane Versammlungen auf Parkplätzen, Gehwegen und Straßenecken sind dank der Außentemperaturen nicht mehr möglich. Wenn man raus geht, muss man warme Jacken anziehen, wenn man wieder rein geht, dann sind einem die warmen Jacken beim Partyspaß im Weg.

Da Clubs und Discotheken mit praktischer Garderobe aufgrund ihrer tadellosen Zweckmäßigkeit zweifellos zu den langweiligeren gehören, ist das ein erhebliches Problem. Seine Lösung findet es in einer Mode, die sich den gegebenen Erfordernissen anpasst. Die Rückkehr von groben Materialien, von Jacken aus Jeans und Kord sowie von Glatt- und Wildleder findet hier ihren Ursprung. Sie sind strapazierfähig, man kann sie achtlos zu Boden werfen, Brandflecken und Bierkleckse fügen ihnen keinen weiteren Schaden zu. Im Gegenteil wirken sie vielmehr veredelnd. Sie sind der Ausdruck einer neuen Härte, eines neues Lebensgefühls: Sie sind modern.

Trendforscher Ingo Mocek hat für diese Bewegung in der Programmzeitschrift Prinz einen neuen Namen gefunden und nannte ihn „New Pogo“. Den Begriff definierte er dabei folgendermaßen: „New Pogo bezeichnet den Griff zum Fetisch aus den Rodeo-Abteilungen unserer Jugend, den Griff zum Fetisch Jeans. Der Begriff bezeichnet aber auch die längst vergessen geglaubten Tanzformen ungeduschter Punks, auf bierseligen Konzerten in meist sehr kleinen Clubs. Zur Kunstform stilisiert, erscheint der kontaktfreudige, immer etwas schmutzige Engtanz in Blue Denim heute vielen als Gang ins letzte Extrem.“ Im Pogo-Club, dem bekanntermaßen extremsten Club Berlins, fand New Pogo sein Zentrum, um sich von dort aus unaufhaltsam und nachhaltig über die gesamte Stadt auszubreiten.

Doch eine Mode ist bekanntlich mehr als nur eine ansprechende Kombination von Kleidungsstücken, sie ist vielmehr der genuine Ausdruck einer Befindlichkeit. Die neue Härte zeigt sich in vielen kleinen Details. Nietengürtel signalisieren eine generelle Abwehrhaltung, starke Filter-Zigaretten zeugen von verhaltener Todesverachtung, der bevorzugte Verbrauch minderwertiger Biersorten deutet auf einen Kompromiss zwischen Luxus und Konsumkritik hin.

Um nicht eine aufgesetzte Freundlichkeit vorzutäuschen, wird wieder vermehrt gerempelt – Glasscherben unterstreichen in diesem Zusammenhang die Vergänglichkeit alles Dinglichen. Die Wiederbelebung der schillernden Moden der 80er-Jahre beweist den Mut, sich dem Grauen zu stellen. Dieser Mut demaskiert die Fassade des guten Geschmacks, in dem er das Gemeine mit aller Macht bejaht.

New Pogo entschleiert so gesehen auf verblüffende Weise die Verhältnisse und kombiniert Protestantismus mit Kritik und der Einsicht, dass sich die Dinge ohnehin nie grundlegend ändern. New Pogo ist die Ablehnung des konkreten Daseins bei gleichzeitig allgemeiner Befürwortung, während Rave und Techno im Grunde das exakte Gegenteil waren.

New Pogo ist also im ewigen Reigen aufblitzender, erlöschender und wiederkehrender Jugendkulturen eine logische Folgeerscheinung, die Kontinuität durch Kontrast und Abgrenzung herstellt. Denn jeder Trend erzeugt einen Gegentrend, jede Mode produziert das Bedürfnis nach etwas durch und durch Anderem. Dieses Andere wurde uns vom Winter gebracht, doch in ein paar Monaten sieht vielleicht alles schon wieder ganz anders aus.

HARALD PETERS