zwischen den rillen
: Liebesgeflüster de Luxe: Sade meldet sich zurück

Heiß denken, kalt fühlen

November 1984. Irgendwo in der Provinz. Ein Wecker klingelt. Der Junge dreht sich noch ein letztes Mal im Bett um, dann steht er vorm Spiegel und schüttet sich kaltes Wasser ins Gesicht. Er muss sich beeilen. Aber warum? Heute hat er die erste Stunde frei. Trotzdem: 7.20 Uhr Dusche, 7.30 Anziehen, 7.35 Frühstück. Pünktlich um 8 Uhr sitzt er vor seinem HiFi-Kompakt-Turm mit den neuen Dreiwegeboxen. Vor kurzem hat er eine Schallplatte gekauft, die ihn ins Mark traf. Die hört er jeden Mittwoch in der ersten Stunde. Es ist „Diamond Life“ von Sade. Musik für gewisse Hohlstunden.

November 2000. Nach acht Jahren Pause veröffentlicht Sade ein neues Album. Was war los über die Jahre? Die Künstlerin hat ein Kind bekommen und sich kreativ regeneriert, heißt es. „Sie ist auf dem Teppich geblieben und war dabei sich selbst und der Umwelt gegenüber stets ehrlich“, schreibt die Plattenfirma. Der Satz ruft Erstaunen hervor. Dass Sade ein ökologisches Bewusstsein besitzt, war bislang nicht bekannt. Und Ehrlichkeit ihre Sache nie. Als Schreckgespenst der Künstlichkeit begann sie 1984 ihre Karriere; es war die große Zeit von Grace Jones, Tweed-Zweireihern und Schwertfisch-Carpaccio. Tagsüber grübelte man über die atomare Katastrophe, nachts lauschte man unter Neonröhren einem coolen Song wie „Smooth Operator“. Man dachte heiß und fühlte kalt. Und in der Ferne blies jemand in ein Saxofon.

Bei manchen Leuten war das so, jedenfalls in der Erinnerung. Andere hatten in der zweiten Stunde Physik.

Wenn man das neue Sade-Album „Lovers Rock“ hört, ist es schlicht unmöglich, sich nicht zutiefst an die Achtzigerjahre erinnert zu fühlen. Mehr noch: Es stellt sich ein Gefühl ein, als wären die Achtzigerjahre nie zu Ende gegangen. Und das sind sie ja auch nicht. Das Wort „Yuppie“ mag tot sein, das Konzept aber lebt. In Deutschland gab es noch nie so viele Yuppies wie heute. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn diese Musik, die sich eigentlich nur in den Begrifflichkeiten der Börse beschreiben lässt und somit eigentlich ein Fall für den Wirtschaftsredakteur ist, nicht sehr bald sehr hoch in den Charts gehandelt wird.

Auf seine Weise ist „Lovers Rock“ das perfekte Album. Prachtvoll ausgestattet, dabei zurückhaltend und ungeheuer distinguiert. Man kann es zehnmal am Stück hören, ohne dass es stört. Am Ende ist man trotzdem sprach- und ratlos, denn im Grunde stellt Sade dieselben Fragen, auf die es schon in den Achtzigerjahren keine Antwort gab: Kann zu viel Geschmack auch schädlich sein? Und: Ist die Frisur vielleicht doch der Sitz der Seele?

Damals stand sie im Plattenregal neben Working Week und Matt Bianco, verwandten Projekten, die auch Soul-Pop mit leichten Jazz-Wölkchen betupften und sich so dem Hotelmanager vom Hilton als Salonmusiker empfahlen. Aber die Kollegen von einst hat sie längst hinter sich gelassen, sie ist jetzt Tabellenführer in ihrer eigenen Liga. Den missglückten Dancefloor-Ausflug „Love Deluxe“ von 1992, der immerhin die schöne Single „No ordinary Love“ abwarf, sollte man nicht zu hoch bewerten. Dancefloor steht ihr einfach nicht, das weiß sie jetzt.

„Lovers Rock“ ist wieder cooles Liebesgeflüster de Luxe. Sade gibt sich heroisch („I’m crying everyone’s tears“) und verletzlich („I’ve been torn apart so many times“), und zwischendurch offenbart sie Katholizismus mit Köpfchen: „I’ve already paid for my future sins.“ Es gibt durchaus Momente, bei denen einem das Herz aufgeht. Aber hinterher hat man nicht nur starke Zweifel an der Aufrichtigkeit des Gesungenen, man bezweifelt vor allem die Authentizität der eigenen Tränen. Die Art von Liebe, die hier besungen wird, ist in der Tat keineswegs ordinary. Sie wird vom Innenausstatter angefertigt. Liebe kann man nicht kaufen, hieß es früher einmal. Die wirklich spannende Frage ist aber, wie viel man dafür zahlen will. OLIVER FUCHS

Sade: Lovers Rock (Epic/Sony)