Unseren täglich Popsong gib uns heute

Man muss nicht immer cool und Hipster sein, um schöne Popsongs zu schreiben und einen roten Teppich ausgelegt zu bekommen: Der amerikanische Gutmensch und Multiinstrumentalist Moby zeigte in der Berliner Columbiahalle, was für ein wunderbarer Gemischtwarenladen seine Musik sein kann

von GERRIT BARTELS

So richtig ernst zu nehmen scheint den kleinen, kahlköpfigen Mann keiner. Nicht das Publikum in der ausverkauften Berliner Columbiahalle, das glaubt, Moby mache einen Scherz, als er auf seinen Turnschuhen von der einen auf die andere Seite der Bühne schliddert, den rutschigen Boden beklagt und seine barfüßig auftretende Bassistin wortreich beneidet. Und auch nicht die Bühnentechniker, die sich nicht rühren, als er fragt, ob er das Konzert liegend bestreiten solle, und dann einen Teppich verlangt.

Es braucht mit „Porcelain“ und „James Bond Theme“ erst zwei seiner großen Hits und schließlich noch eine Gitarre, die Moby punkrockmäßig in die Ecke schmeißt, bis ihm sein Wunsch erfüllt wird – ein nicht besonders langer, aber immerhin rotfarbener Läufer wird der besseren Rutschfestigkeit wegen auf die Bühne gelegt. Ein roter Teppich ist ja auch das mindeste, was ein Popstar – und ein erfolgreicher dazu! – verlangen kann.

Tatsächlich ist es im Moment nicht möglich, Radio oder Fernsehen einzuschalten, ohne einen der sanft-melancholischen Popsongs von Moby zu hören. Diese stammen alle von „Play“, einem Album mit haufenweise Blues- und Gospelsamples, das Moby schon vor gut zwei Jahren veröffentlicht hat und das mit den Jahren immer besser zu werden scheint. Jeder Song ein Treffer, was allerdings kein so großes Wunder ist: Als das Album kurz nach der Veröffentlichung nicht so lief, wie Moby sich das vorstellte, verkaufte er ausnahmslos jeden der achtzehn Songs an Produzenten aus Film, Funk und Fersehen. Moby-Songs zieren nun die Soundtracks von Filmen wie „The Beach“ oder Oliver Stones „Any Given Sunday“, von TV-Serien und Werbespots.

Der Mann weiß, wo der Bartel den Most holt, ist aber auf der anderen Seite das, was man gern etwas abfällig einen „Gutmenschen“ nennt, ein unermüdlicher Botschafter für das Gute in der Welt. Statt Songtexten gibt es in den Booklets seiner Alben kleine Essays, die die Schlechtigkeiten der Welt anprangern und beispielsweise so beginnen: „Jede Art von Fundamentalismus regt mich auf.“ Oder: „Es erschreckt mich, wie armselig wir die Leute in unseren Gefängnissen behandeln.“ Dazu ist Moby bekennender Veganer (eines seiner Alben heißt „Animal Rights“), gibt jeder Tierschützerzeitung lange Interviews und lässt sich für Aktionen jedweder Art als Promi einspannen.

Dass mit seinen Songs Werbung für Bier, Zigaretten oder Autos gemacht wird: Kein Problem, besser er als andere. Widersprüchlichkeit ist für Moby kein Fremdwort, die hält er locker aus, da finden selbst noch ein paar Drogen ihren Platz. Zumal, auch das steht in seinen Booklets, man seine Musik und seine politisch korrekte Denk- und Lebensweise nicht unbedingt miteinander vermengen müsse. Daran hält er sich auch auf seinem Konzert in Berlin. Da gibt es von ihm lediglich die üblichen Spielereien mit der deutschen Sprache („Möhrensaft“ kennt er) und natürlich die Ansagen zu den Songs, insbesondere zu solchen, die schon älter sind. Die widmet er dem Berliner Techno-Label Low Spirit, das Anfang der Neunziger erste Tracks von ihm hierzulande veröffentlichte, und der tollen Berliner Techno- und Partyszene.

Da jubelt Berlin natürlich, da freut sich auch der Ballermann, denn Moby beweist nicht nur auf seinen Platten, sondern auch live, dass er in allen Stilen zu Hause ist, ob Techno (er schätzt eher das Wort „Disco“), Metal oder Blues. Moby kann eine Hippiegemeinde mit Goa- und Eso-Techno genauso unterhalten wie eine Fraktion Speedmetaler. Berührungsängste kennt er keine, wirklich zu Hause ist er nirgends.

Was nicht unbedingt gegen ihn spricht (eher gegen die Fangemeinden), ihm aber immer den Vorwurf einbrachte, nicht gerade ernsthaft mit Musik und Technik umzugehen. An diesem Mittwochabend spielt Moby wahlweise Keyboards, Bongos, Akustik- und E-Gitarre, dazu singt er hin und wieder (allerdings nicht besonders gut), und neben der Bassistin wird er von einem DJ, einem Schlagzeuger und einer Gospelsängerin unterstützt. So gerät das alles musikalisch auch sehr kunterbunt: Mal ein Keyboard-Instrumental, dann ein gitarrenlastiger Song, mal ein paar Drum-Loops, dann ein alter Softtechno-Hit wie „Everytime you touch me“, der mit Akustikgitarre und Gesang sozusagen unplugged gespielt wird.

Das Publikum, das Love-Parade-gestählt ist, aber sich auch im Pärchenengtanz gut auskennt, macht jede Wendung gut gelaunt mit – auch wenn Moby das richtige Glück auf Erden vor allem mit den Songs von „Play“ spendet. Diese beweisen, dass nicht immer cool und Hipster sein muss, wer schöne Popsongs schreibt. Und dass zwischen wirklich gutem Geschmack und schlechtem Trash eine ziemlich große Lücke ist, die von Moby bis in jeden Winkel hinein aufs Beste ausgefüllt wird.

Weitere Konzerte: 24. 11. Leipzig, Haus Auensee; 25.11. Köln, E-Werk