„Ich bange um mein Leben“

Jugoslawiens Ex-Präsident Zoran Lilić macht sich und anderen Mitgliedern der Sozialistischen Partei den Vorwurf, nicht früher gegen Milošević aufbegehrt zu haben. Auch jetzt könne von einem kompletten Machtwechsel durch DOS keine Rede sein

Interview: ANDREJ IVANJI

taz: Sie haben Milošević verlassen. Bangen Sie um ihr Leben?

Zoran Lilić: Ja, nur ein Verrückter hat hier keine Angst. Die meisten Mordopfer in Serbien waren ja aus den Reihen der SPS, der Loyalität musste oft mit Repression nachgeholfen werden. Der größte Fehler von mir und anderen in der SPS war, zugelassen zu haben, dass sich die Partei in ein Instrument zur Befriedigung parasitischer Leidenschaften von Einzelnen verwandelt, die sich nur bereichern wollten.

Trotzdem sind Sie Milošević jahrelang treu geblieben.

Viele nehmen mir übel, dass ich die SPS nicht früher verlassen habe. Doch ich glaubte, innerhalb der Partei mehr bewirken zu können. Anfang der Neunziger waren wir noch alle um Milošević ehrlich überzeugt, im Interesse des ehemaligen Jugoslawien zu handeln. Noch nach dem Dayton-Abkommen 1995 hatte die Bundesrepublik Jugoslawien eine ganz gute internationale Position: Milošević hatte zum Frieden in Bosnien beigetragen, die internationale Gemeinschaft wusste das zu schätzen. Danach wurde Milošević’ Politik aber immer militanter. Vor allem unter dem Einfluss seiner Gattin Mira Marković und ihrer Partei, der Jugoslawischen Linken (JUL). Am Ende ließ sich Milošević von der größenwahnsinnigen Idee leiten, Serbien könnte sich der Nato widersetzen. Dafür war er bereit, Menschen und den Staat zu opfern. Der harte Kern seines Machtzentrums folgte ihm.

Wie würden Sie Milošević’ Machtsystem beschreiben?

Milošević hatte ein autoritäres, zentralistisches Machtsystem aufgebaut. Er ist ein Mann, der zuhören kann, aber alle Entscheidungen allein trifft. Gegenargumente haben auf ihn gar keinen Einfluss. Mögliche Folgen und Opfer seines Handelns interessieren ihn einfach nicht. Unter ihm ist Serbien wirtschaftlich ruiniert worden, hat rund zwölf Prozent seines Territoriums, vor allem das Kosovo, verloren. Etwa 700.000 Serben leben heute als Flüchtlinge im Mutterland. Doch ein Verantwortungsgefühl hat das bei Milošević nicht ausgelöst.

Was halten Sie von der politischen Wende in Serbien?

Es ist gut, dass es am 5. Oktober zum friedlichen Machtwechsel gekommen ist, gleichzeitig soll das aber eine Warnung für die neuen Machthaber sein, dass niemand persönliche Interessen über die Interessen des Staates setzen darf. Der Bürgerkrieg ist zum Glück vermieden, die Voraussetzungen für politische und wirtschaftliche Reformen geschaffen worden.

Hat die Demokratische Opposition Serbiens (DOS) den Machtwechsel komplett durchgeführt?

Absolut nicht. Die serbische Übergangsregierung funktioniert nicht, die Bundesregierung wird von der Teilrepublik Montenegro nicht anerkannt. Einer der engsten Mitarbeiter von Milošević, Serbiens Präsident Milan Milutinović, bleibt vorerst im Amt. Vitale Institutionen werden noch von der alten Nomenklatur besetzt. Serbien wird de facto durch Krisenstäbe der DOS regiert. In diesem Chaos sieht Milošević seine Chance. Auch beschäftigt sich DOS mehr mit sich als mit den brennenden Problemen im Staat. Achtzehn Parteien haben sich in der DOS nur aus einem Grund zusammengetan – Milošević zu entmachten. Nachdem sie es geschafft haben, werden Unterschiede und Uneinigkeit immer deutlicher.

Wer kontrolliert Polizei und Armee?

Sie unterliegen keiner direkten Kontrolle, werden von mehreren politischen Führern beeinflusst, die sie für die eigenen Interessen ausnutzen wollen. Das ist sehr gefährlich. Der serbische Geheimdienstchef Radomir Marković wird anscheinend sowohl von der alten Nomenklatur als auch von einigen Führern der DOS beschützt. Oder er hält sie durch Geheimakten in der Hand. Man hat ihn nicht zum Rücktritt zwingen können, vielmehr hat Brüssel noch das Einreiseverbot für ihn in die EU aufgehoben. Das alles sieht nach einem Tauschgeschäft aus.

Was wird Milošević jetzt tun?

Milošević bereitet sich sehr seriös auf den Kongress der SPS am 25. November vor. Ich bin sicher, dass er an der Spitze der SPS bleiben und dreist an den Parlamentswahlen teilnehmen wird.