Er kann nicht, was alle können

Gerhard Schröder verabschiedet Michael Naumann und bewundert ihn ein letztes Mal. Er offenbart dabei sein schlichtes Verhältnis zu Kunst und Kultur
von JENS KÖNIG

Ein Kulturmensch in der Politik – das ist auch nachzwei Jahren rot-grüner Bundesregierung alles andereals selbstverständlich

Hier steht er im Kanzleramt, Gerhard Schröder, der Sohn einer Putzfrau, der es immerhin bis zum Regierungschef gebracht hat. Aber an einem Morgen wie diesem wird ihm wieder mal bewusst, dass es vielleicht doch Aufregenderes gibt als das Amt des Bundeskanzlers. Herausgeber der Zeit zum Beispiel. Michael Naumann, der neben Schröder steht, wird diesen Posten Anfang nächsten Jahres übernehmen, und der Kanzler sagt unumwunden, was er von der neuen Aufgabe seines Kulturministers hält: Das sei ein Traumjob.

Wer Schröder kennt, weiß, dass daraus kein Neid spricht, eher schon Bewunderung für eine Welt, für die er sich zwar interessiert, die aber dennoch nicht die seine ist. Als ein amerikanischer Journalist ihn fragt, ob er sich auch einen solchen Traumjob wünsche, muss sich der Kanzler nicht eine Sekunde verstellen. „Das wäre nicht mein Job“, sagt er, und in Richtung der versammelten Hauptstadtkorrespondenten fügt er hinzu: „Ich kann das nicht, was Sie können.“

Schröder kann auch nicht, was Naumann kann, sein Staatsminister für Kultur, dessen Abgang der Kanzler an diesem Donnerstag verkündet. Schröder fehlt Naumanns scheinbar angeborene Kultiviertheit und Intellektualität. Also bedankt sich der Kanzler bei Naumann für eine „wirklich wunderbare Zusammenarbeit“, die er als sehr angenehm empfunden habe und die in der Politik nicht selbstverständlich sei. Soviel Aufrichtigkeit passt zur Stimmung dieses Tages: Die Sonne scheint durch die Mosaikfenster des Kanzleramtes, und Gerhard Schröder hat gute Laune. Es stört den Kanzler offenbar kein bisschen, dass der Abgang seines Kulturministers, über den er seit drei Wochen Bescheid weiß, durch mehrere Pannen vorzeitig bekannt geworden ist. Schröder zeigt lieber seine Freude über ein gelungenes Experiment: Michael Naumann, ein Intellektueller, der nie Politiker war und stets Abstand hielt zu dieser ihm fremd und mysteriös erscheinenden Kaste in Berlin, hat der rot-grünen Regierung einen Hauch von Glamour verliehen.

Schröder stellt an diesem Tag des Abschieds seine Bewunderung für einen Mann wie Naumann noch einmal unverhohlen zur Schau. Er offenbart damit nicht nur eine Geistesverwandtschaft, was dessen unkonventionellen Politikstil betrifft. Der Kanzler zeigt mit seiner Bewunderung auch sein schlichtes, fast naives Verhältnis zu Kunst und Kultur. Dass er sich dafür interessiert, aber davon nur wenig versteht, verschweigt er nicht einmal. Kultur ist für ihn per se unkonventionell und nonkonformistisch. Aus diesem Grund will Schröder, der Nonkonformistische unter den Parteisoldaten, dass es zwischen Politik und Kultur einen Austausch gibt.

Für Gerhard Schröder, das Kind aus einfachen Verhältnissen, ist Kultur zugleich auch Arbeit. Er betont immer wieder, Kultur nicht vom Elternhaus mitbekommen zu haben. „Kunst ist für mich vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen immer auch ein Stück Weiterbildung gewesen“, hat Schröder mal gesagt. „Wenn ich was von Theater, Musik oder Bildern verstehen will, dann muss ich mich auf dem Laufenden halten.“ Diese Aussage ist ehrlich, und seine Erfahrung bewahrt Schröder davor, aus seinem Interesse für Kunst ein Image zu machen. Er weiß, dass er kein Björn Engholm ist, von dem es heißt, dass er die Neunte Symphionie von Beethoven mitpfeifen konnte. Und Schröder weiß, dass er mit seiner Haltung nicht nur die neue, sondern auch die alte Mitte der Gesellschaft repräsentiert.

Als der Kanzler den Journalisten sagt, dass er nicht könne, was sie könnten, schickt er noch einen letzten, süffisanten Satz hinterher: „Ob Sie es alle können, müssen Sie selber bewerten.“

von RALPH BOLLMANN

Der Neue weiß, wovon er spricht. „Seiteneinsteiger sind unbequem“, sagt Julian Nida-Rümelin, „sie sind noch nicht in der Routine, sie machen Fehler.“ In der Tat – den ersten Fauxpas hat der künftige Staatsminister bereits hinter sich: Weil seine Sprecherin am Mittwoch schon verkündete, der Bundeskanzler werde sich tags darauf zum möglichen Austausch seines Kulturbeauftragten äußern, bescherte sie der Regierung einen neuerlichen Chaostag.

Ein Kulturmensch in der Politik – das ist, auch zwei Jahre nachdem die rot-grüne Bundesregierung erstmals einen Staatsminister für Kultur und Medien installiert hat, alles andere als selbstverständlich. Zwar beteuerte Michael Naumann gestern, er habe die Politik nicht als „Terra incognita“ empfunden und sei im Kreis der Ministerkollegen „sehr glücklich“ gewesen. Aber dass er es überhaupt sagen musste, als er seinen Rückzug bekannt gab, ist bezeichnend. Zumal der künftige Zeit-Mitherausgeber hinzufügte, er habe am Kabinettstisch seinen politischen „Grundwehrdienst“ geleistet.

Dabei mag sein Bekenntnis sogar aufrichtig gewesen sein. Denn die größten Feinde des Staatsministers waren nicht die Politprofis, sondern die einstigen Kollegen, Künstler und Feuilletonisten, die Naumann das Leben schwer machten. Dass die Aufgabe des Staatsministers in erster Linie darin bestand, das Revier der Kultur insgesamt zu vergrößern, interessierte sie nur am Rande. Die internen Kämpfe und Reibereien waren den meisten von ihnen wichtiger.

Auf Länderebene waren bislang oft jene Kulturminister am erfolgreichsten, die mit der Kunst überhaupt nichts am Hut hatten – und von den Künstlern mit der entsprechenden Häme überzogen wurden. So hatte der einstige CDU-Wahlkampfmanager Peter Radunski, alles andere als ein Intellektueller, vier Jahre in der finanziell klammen Hauptstadt als Kultursenator amtiert – und dafür gesorgt, dass kein Berliner Theater geschlossen wurde. Nachfolger Christoph Stölzl, von den Kulturschaffenden als einer der Ihren freudig begrüßt, beißt sich an den nötigen Reformen jetzt die Zähne aus. „Es reicht nicht aus, sich in der Kultur auszukennen“, sagt ein lokaler SPD-Politiker, „man muss durchsetzungsfähig sein.“

Dass er diese Eigenschaft besitzt, wird der bisherige Münchner Kulturreferent Nida-Rümelin jetzt beweisen müssen. Zunächst aber muss er zeigen, dass es einen Staatsminister nach Naumann überhaupt geben kann. Der erst Amtsinhaber hatte das im letzten Wahlkampf geborene Amt nach seinem Ebenbild geschaffen – so sehr, dass es eigentlich den Namen „Naumann-Behörde“ verdiente. Ganz ähnlich, wie sich der Aktenverwalter Joachim Gauck als moralische Institution etablierte, verstand sich auch Naumann nie als bloßer Verwalter seines Mini-Etats. Das Amt habe „eine Faszination, die weit über den administrativen Zuschnitt hinausgeht“, sagte Nida-Rümelin gestern, „das hat mit dem jetzigen Amtsinhaber zu tun.“

Doch anders als Naumann, der bei seinen öffentlichen Statements oft jede politische Rücksichtnahme fahren ließ, agierte Nida-Rümelin in München eher als Konsenspolitiker. Was er gestern über seine politischen Ziele verlauten ließ, ging über das kleine Einmaleins rot-grüner Kulturpolitik nicht hinaus. Nur um das Thema der Hauptstadtförderung drückte er sich mit der Formulierung herum, der Bund werde notleidenden Regionen kulturpolitisch unter die Arme greifen – da spricht die Rücksicht auf die Kulturhoheit der Länder, mit denen Naumann oft und heftig stritt. Das aber wäre das Schlimmste, was Nida-Rümelin passieren könnte – wenn er versuchen würde, nach seinem ersten Fauxpas nirgendwo mehr anzuecken