Pferdlein deck dich

Dass man Rinder mit Hühnerkot füttert, Schweinen Altöl in den Trog kippt und Kälber in Dunkelhaft hält, stört uns wenig. Aber Pferdefleisch finden wir eklig. Warum bloß?

von MARITA ODIA

„Die Deutschen essen immer weniger Pferdefleisch. Das wird ja nur noch von denen im Geschäft verlangt, die beim Russlandfeldzug auf den Geschmack gekommen sind.“ Meinte unser aller Talkmaster Harald Schmidt zu nächtlicher Stunde. Denkste! Pferdefleisch hat zwar ein schlechtes Image aus Notzeiten, in denen die alten, müden Klepper verwurstet wurden. Doch es gibt in Deutschland echte Fans, auch wenn es nur eine kleine Gemeinde ist.

Peter Weber, Pferdemetzger in Köln-Mülheim, weiß das. „Meine Kunden kommen aus dreißig Kilometer Entfernung angefahren, aus Bonn, Bergisch-Gladbach und Bensberg.“ Selbst Reiter und Reiterinnen gehören zur Kundschaft. Das Glück liegt wohl doch nicht nur auf dem Rücken der Pferde, sondern auch auf dem Teller: Braten, Steaks, Frikadellen, Wurst, Aufschnitt.

Angefangen haben die Webers mit einer „normalen“ Metzgerei. Doch als das Geschäft mit Rind und Schwein immer schlechter lief, spezialisierten sie sich – aufs Pferd. Weber schlachtet nicht selbst, aber er legt Wert darauf, dass nur heimisches Fleisch in seine Theke kommt. „Unsere Schlachtpferde“, sagt er, „werden genauso kontrolliert wie Rinder oder Schweine.“ Der Metzger kann über den Tierpass die Herkunft der Pferde nachvollziehen.

Die Schlachtvorschriften für Pferd, Rind oder Schwein sind gleich, aber die Tierhaltung könnte nicht unterschiedlicher sein. Während Rinder und Schweine in Intensivställen mit Turbofutter in immer kürzeren Zeiten zum Schlachtgewicht getrieben werden, gibt es in ganz Deutschland keine einzige Massentierhaltung für Pferde. Fohlen- und Pferdefleisch kommt, so Weber, „aus den Überschüssen der Reittierzucht“. Die Tiere laufen in der Regel frei auf der Koppel herum, wachsen langsam, ohne Mastbeschleuniger und abgedunkelte Ställe.

Es ist Samstagmittag, kurz vor Ladenschluss. Zeit für die Webers, ihren Sauerbraten anzusetzen, eine Kölner Spezialität. Das Pferdefleisch wird sechs Tage in eine Marinade mit Essig, Wasser, Zwiebeln, Wurzelgemüse und Gewürzen eingelegt. Die Bratensauce wird mit Rübenkraut, Printen (ein spezieller Lebkuchen) und Rosinen gewürzt. Kölner schwärmen von dieser süßsauren Deftigkeit, als klassische Beilage werden Kartoffelklöße und Apfelmus serviert.

Doch ein echter Sauerbraten – und der besteht nun mal aus Pferdefleisch – ist in der Kölner Gastronomie selten zu bekommen. Die fünfhundert Sauerbraten, die die Webers pro Woche verkaufen, landen zu 95 Prozent auf privaten Tischen. Gert von Paczensky und Anna Dünnebier schreiben in ihrer Kulturgeschichte des Essens und Trinkens, dass in Kölner Restaurants die schlichte Frage, ob der Sauerbraten original mit Pferdefleisch gemacht werde, einen Augenaufschlag provoziere, „als hätte man nach geschmortem Baby gefragt“. Pferdefleisch taugt immer noch nicht fürs öffentliche Essvergnügen.

Solcherlei Skrupel gegenüber dem Pferdebraten hatten die Menschen während vieler Jahrhunderte keineswegs. Von den Steinzeitjägern bis zu den Germanen wurden die Tiere gejagt, ihr Blut getrunken, ihr Fleisch gegessen. Wildpferde waren leichter zu erlegen als Auerochsen oder Bären. Trickreiche Jäger versetzten die scheuen Herden in Panik und trieben sie auf Steilhänge zu, wo die Tiere in den Abgrund stürzten. Unten sammelte der zweite Teil der Jagdgesellschaft das Schlachtfleisch auf. Barbarisch, aber effizient. Archäologen fanden meterhohe Knochenberge.

Die Germanen opferten dem Kriegsgott Wotan die „Göttertiere“ und verzehrten ihr Fleisch anschließend mit einem Festmahl. Die Christianisierung versuchte diesem Ritual ein Ende zu bereiten. Papst Gregor III. schrieb im 8. Jahrhundert an den heiligen Bonifatius, er solle die verabscheuungswürdigen Essgewohnheiten der Germanen endlich bestrafen. Doch das Pferd kam immer wieder auf den Teller. Island, so heißt es, wurde nur christianisiert, weil die Isländer weiter ihre kleinen Pferdchen essen durften. Im Mittelalter wurde das Pferd aus wirtschaftlichen und militärischen Gründen so wichtig, dass der Verzehr zurückging. Pferde vor den Pflug zu spannen, brachte mehr Nahrung für die wachsende Bevölkerung, und Kriege wurden vom Pferderücken aus gewonnen – keine guten Voraussetzungen für Rosssteaks und Gulasch. Das Fleisch wurde nur noch in Notzeiten gegessen, wenn’s nichts anderes zu kauen gab. Und es verlor seinen guten Ruf, weil vor allem alte, verlebte Tiere in die Schlachterei kamen.

Bis heute ist Pferdefleisch tabuisiert. „Trapp, trapp“ sagten die Kölner ironisch, als es Ende des 19. Jahrhunderts wieder etwas populärer wurde. Kölner Autoren haben einiges über die Geschichte des Pferdefleischs in der Domstadt herausgefunden. Joachim Römer etwa meint, dass die „Franzosenzeit“ das Fleisch wieder gesellschaftsfähig machte. Nach der Französischen Revolution war es vor allem in Frankreich populär. Napoleon soll es über den Rhein gebracht haben.

Manchem gilt der Verzehr heute noch als Mutprobe. Eine Gruppe tapferer Esser hat sich am Samstagnachmittag in der „Mülheimer Vielharmonie“ versammelt, ein Bistro, nicht weit von der Metzgerei Weber entfernt. Der Wirt heißt Kurt und stammt aus Lateinamerika. Er grillt oft und gerne Steaks vom Pferd. Für die „Mutprobe“ hat er vierzehn Testessern Brötchen mit Pferdeaufschnitt geschmiert. Kaum ist der Pferdeimbiss enttarnt, sind die hungrigen Gäste doch ein wenig entsetzt. Zögerlich probieren sie mit langen Zähnen Rauchfleisch, Fleischwurst und Salami. Nachdem die ersten Hemmungen überwunden sind, beißen manche etwas herzhafter zu. Lecker zum frisch gezapften Kölsch. Man wundert sich über die eigenen Vorurteile. Der gute Geschmack jenseits rossiger Rustikalität überzeugt. Dass Pferdefleisch viel gesünder ist als unsere gewohnten Favoriten, ist da eher ein erfreulicher Nebeneffekt. Vitamin- und Mineralstoffgehalt sind erstaunlich hoch, die Cholesterinwerte niedrig. So gesehen ein modernes Lebensmittel. Aber: Gesundheitliche Qualitäten reichen nicht, das Fleisch muss schmecken, die Hemmungen müssen fallen. „Wir überreden keinen“, meinen die Webers.

Pferdefleisch ist nicht illegal. Aber genauso schwer zu bekommen. Die Beschaffung erfordert detektivisches Geschick. Im Internetzeitalter werden Interessierte unter www.pferdefleisch.de fündig und können dort auch bestellen. Die Duisburger Ross- und Fohlenschlachterei Hein bietet unter dieser Homepage Produkte, Rezepte und Versand an. In Köln gibt es insgesamt drei Pferdemetzger. Ein Verzeichnis aller deutschen Pferdemetzgereien existiert nicht. In Sachen Pferdefleisch gilt: Suchmaschinen versagen, Kochbücher schweigen, Restaurantköche trauen sich nicht.

Immerhin: Urlaube bieten hoffnungsvolle Oasen. Frankreich ist eine echte Empfehlung. Italienreisende finden Pferdegerichte in der Gegend von Piacenza. Unser Tipp für den Selbstversuch: Fremde Speisen sollten nie unter Druck probiert werden. Vorbehalte und Hemmungen sind normal. Deshalb beim ersten Mal kleine Portionen kaufen. Fohlenfleisch und -wurst ist übrigens milder im Geschmack und deshalb besonders tauglich für Anfänger.

MARITA ODIA, 36, ist PR-Beraterin und Vorstandsmitglied von Slow Food Deutschland