■ H.G. Hollein: Vorfreude
Die Frau, mit der ich lebe, will Urlaub machen. Das bedeutet Arbeit. Zunächst gilt es, ein der Gefährtin kongeniales Domizil auszumachen. Angesichts der fortgeschrittenen Jahreszeit ist ein offener Kamin unabdingbar, desgleichen ein Vollbad, Meeresnähe und ein leidlich abwechslungsreiches kulinarisches Angebot in Steinwurfweite. Auch an kulturellen Highlights sollte die nähere Umgebung nicht eben arm sein. Zu groß darf die Unterkunft aber auch nicht ausfallen: „Schließlich willst du ja nicht den ganzen Tag saubermachen, oder?“ In der Tat. Dann sind da all die Dinge zu besorgen, die es in der finsteren Bretagne nicht gibt. Als da wären: diverse Stangen der Zigarettenmarke der Gefährtin samt adäquaten Quantitäten an Rauchervitamin-Kapseln. Des Weiteren muss eine breitgestreute Handbibliothek her, da sich die Gefährtin aufgrund mangelnder Beherrschung des Französischen intellektuell nicht aus dem Lande ernähren kann. Darüberhinaus legt sie aber auch durchaus Wert auf eine gepflegte Konversation, und so möge ich mir doch schon mal das eine oder andere Thema zurechtlegen. Folglich spare ich mir in den letzten Wochen vor der Abfahrt alles Mitteilenswerte auf, was mir regelmäßig den Vorwurf einträgt, ein unkommunikativer Klotz zu sein. Ich finde das ungerecht. Schließlich ist ein bedrohlich-plötzlich auftretender Mangel an Bekleidung auszugleichen. Ist Frankreich doch die Wiege der Eleganz und „so“ will ich mit der Gefährtin ja wohl nicht rumlaufen. Ich finde ja, weniger ist immer mehr, aber diese These habe ich nur einmal zu vertreten gewagt. Deshalb habe ich der Gefährtin auch noch nicht eröffnet, dass unser neues Auto zwar wirtschaftlicher ist als das alte, in seinem Kofferraumvolumen jedoch um Einiges hinter seinem Vorgänger zurückbleibt. Da trifft es sich vielleicht ganz gut, dass sich meine Garderobe verschleißbedingt auf vier Hemden und drei Unterhosen reduziert hat. Aber wie schon Archimedes gesagt haben soll: „Alles was ich besitze, trage ich in mir.“
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