Mythen zwischen Vergangenheit und Zukunft

■ Werte verändern sich und die Arbeitswelt: Abschied von Träumen und die Suche nach einem Weg

Ein Vorstand musste nur pro forma her, die Satzung hat man irgendwo abgeschrieben – wozu braucht mensch ChefInnen, wenn doch alle gleich sind und das Gleiche wollen? Nur für die Bürokratie. Das war 1968. Einige der Weltbessermacher von damals haben es sich inzwischen bequem gemacht im Establishment und wollen vermutlich gar nicht mehr an ihre Träume von damals erinnert werden. Andere aber erinnern sich lust- wie schmerzvoll und fragen sich, wie es weiter gehen könnte, mit zumindest einigen der alten Ideale in einer veränderten Welt.

Zwei Tage lang haben Hamburger Institutionen sich vergangene Woche dieser Frage gestellt, selbstkritisch und ohne Rezepte, aber mit dem Glauben an die eigene Lebensfähigkeit. Nur wie? „Sinnvoll und erfolgreich arbeiten – mit Werten den Wandel in der Arbeitswelt gestalten“ war der Titel, und jeder hatte zum Thema etwas anderes im Kopf.

Ralf Henningsmeyer vom Landesverband Soziokultur Hamburg erzählt aus seiner Praxis, wie statt gesellschaftlichem Engagement nun das Selbst verwirklicht werden soll. „Vor zehn Jahren kam eine Kultur-Ini zu mir und sagte, sie wolle etwas für den Stadtteil tun. Wo sie Fördergelder beantragen könnten, wollten die wissen.“ Heute kämen „professionell Engagierte“, die ihr persönliches Thema gefördert haben wollten. Beispielsweise der Filmemacher, der sich verwirklicht, indem er einen Film über den Stadtteil dreht.

Was in den 80ern ein anspruchsvoller Sozialstaat war, gelte jetzt als paternalistisch und passiv machend, klagt Henningsmeyer. Ausschreibungsverfahren, bei denen der Billigste gewinnt, Konkurrenzdruck der Freien Träger, immer kleinere Profit-Center: Die vielen Management-Seminare für Non-Profit-Unternehmen spiegeln für ihn die Veränderung wider. Seine These: „Vereine der Kultur-, Sozial- und Bildungsbereiche sind halbkommerzielle Dienstleister mit Beschäftigungslücken für Freiwillige. Sie bieten noch inhaltliche Freiräume für Engagierte und Unterbezahlte, und ihre Mitarbeiter akzeptieren flache aber deutlich vorhandene Hierarchien.“

Dass Gleichheit ein Mythos ist, hat er ebenso wie Michael Wendt vom Stadtteilzentrum „Motte“ erkannt. Der erinnert sich an Anfang der 90er, als viele versucht hätten, sich andeutende Sparzwänge mit „beharrlicher Verweigerung“ auszusitzen. Die „Pseudogleichheit der Plena“ war für Wendt so lächerlich wie interessant. Heute hat er seinen Platz gefunden, betreibt Selbstfindung statt Selbstzerfleischung und gibt offen zu: „Ich habe Lust auf Taktik und Strategie.“

Ein Satz, von dem die meisten Frauen sich wohl noch immer dis-tanzieren würden. „Wie kommt es, dass ein Vorstand aus zwei Frauen und einem Mann besteht, der aber die wichtigen Entscheidungen trifft?“, fragt Dieter Bensmann von „umdenken – Heinrich Böll Stiftung“. Die Frauen in der Arbeitsgruppe „Geschlechterdemokratie und Gendermainstreaming“ wissen die Antwort nicht, fragen eher weiter: „Warum ist Macht ein für Frauen immer noch negativ besetzter Begriff, während Männer Spaß an Machtspielen haben?“, fragt eine Teilnehmerin.

Viele der Frauen arbeiten in reinen Frauenprojekten. Und sie haben ganz unterschiedliche Ansichten darüber, ob die sich auch für Männer öffnen sollen oder müssen. Die einen sprechen von wohltuenden Inseln, die noch lange nötig sein werden, „weil Männer uns durch ihr Dominanzverhalten gebremst haben“, sagt eine Frau. Die anderen sind neugierig, wie es mit Männern zusammen gehen könnte, und fürchten, „dass nur mit Frauen irgendwann der Saft ausgeht“. Was am Anfang die Kreativität beflügelte, könne irgendwann auch lähmen.

Eine andere Frau kämpft als Frauenbeauftragte in ihrem Betrieb mit einem ganz anderen Alltag. Mit einem Chef, der nur von „wir“ spricht, wenn er Ideen braucht, der jedem konkreten Vorschlag zur Frauenförderung aber wahlweise an den Argumenten Zeit- oder Geldmangel abprallen lässt. Und sie kämpft mit KollegInnen, die vor lauter Erschöpfung lieber vom Auswandern als vom Verändern träumen sowie gegen die totale Spaßhaftigkeit unserer Gesellschaft. „Für viele der jungen Kollegen, muss alles Fun sein, auch die Arbeit. Wer da Probleme benennt, wird selber zu einem.“

Sandra Wilsdorf