Kreativ bis es kracht

Mittlerweile fangen die Nächte der Hauptstadt-Boheme auch immer später an: Im „Bastard“ konnte man den Acts des bayerischen Payola-Labels dabei zuhören, wie selbst Retrotechnogeratter den Indiefreund glücklich machen kann

Das aus Weilheim in Oberbayern stammende Payola-Label versucht die Republik zu erobern. Ab Januar wird es einmal im Monat freitags in Köln, samstags in Stuttgart und sonntags in München zu hören sein. Die kleine Tour beginnt allerdings immer donnerstags in der Hauptstadt. Hier werden die Auftritte zusammen mit der rührigen Konzertagentur Am START organisiert, so dass eine gewisse Klientel vor Ort bereits garantiert ist. Eine löbliche Sache. Am Donnerstag, an dem tout Berlin in der Maria bei „Le Tigre“ war, wagte man im Bastard eine kleine Preview auf die kommenden Nächte.

Alles startete fantastisch spät. Um halb eins war noch keiner der angekündigten Liveacts auf der Bühne – das Publikum musste sich damit abfinden, die letzte U-Bahn garantiert zu verpassen. Weil in dieser Stadt der Musikgenuss unweigerlich mit einem Event verknüpft sein muss, kann man als Veranstalter auch an Nichtwochenendtagen längst nicht mehr vor ein Uhr anfangen. Nun aber kommt ein gewisser Teil der Klientel, dem es mehr um die „gesamte Atmo“ als um das Ereignis geht, demnächst noch später, woraufhin später aufgemacht wird, und so weiter und so fort ... Leute, die tags drauf arbeiten müssen, sehen dann entweder scheiße aus oder bleiben besser gleich weg.

Logisch, dass also nur Studenten, Arbeitslose und Kreative da waren. Brille dominierte, Adidas-Trainingsjacke auch. Der DJ FC Shuttle legte schon eine kleine Weile gekonnt auf, doch es mochte keine rechte Stimmung aufkommen. Zu sehr wartete man auf die angekündigten Acts Hometrainer und Generation Aldi. Und stand gelassen mit seinem Bier herum. Nur ein einziger einsamer Tänzer stellte sich aus. Irgendwann stellte sich der unter Hometrainer firmierende junge Mann hinter seine Geräte und stellte nebenbei seine neue Maxi „trained to be a dancer“ vor.

Hometrainer macht altbackene 80er-Electro-Beats mit verzerrtem Gesang. Seine Musik ist reichlich fade und uninspiriert, getanzt wird dennoch, gejuchzt sogar. Als dann die auch nur in Einzahl vertretene Generation Aldi hinter den Geräten auftaucht und mit einem beinahe retrotechnoiden Drumgewitter die Leute angreift, sind alle gleich ganz aus dem Häuschen. Dabei meint diese Musik nichts, sie ist nur. Das aber genügt den Leuten, da sie hier unter dem Label Payola läuft. Dort ist bekanntlich auch der zu Recht verehrte Console. Payola wird, obwohl längst bei Virgin mit untergebracht, von seiner Klientel immer noch als „Indie“ wahrgenommen. Damit erscheint als korrekt, was uninspirierter klingt als Westbam. Bei Generation Aldi fehlte nicht einmal das in Prollschuppen obligatorische Frauenstöhnen.

Nach den Liveacts kam noch Michelle Grinser von Daker & Grinser, doch den habe ich mir geschenkt. Ich war eh erkrankt und nicht selbstgenügsam genug. JÖRG SUNDERMEIER