Köter im Stimmbruch

Die Neuköllner Oper hat drei Komponisten mit Michael Bulgakows Novelle „Hundeherz“ experimentieren lassen

Irgendwie erinnert das ganze ein bisschen an „Lola rennt“. Nicht der Stoff, versteht sich, aber das Drumherum. Zweimal hintereinander wird dem Publikum in der Neuköllner Oper der gleiche Prolog zu einer Kammeroper präsentiert. Zweimal vollkommen unterschiedlich vertont. Anlässlich der Vergabe des dritten Neuköllner Opernpreises sollte in diesem Jahr die Eröffnungsszene von Michail Bulgakows Novelle „Hundeherz“ in Musik übersetzt werden. Die literarische Vorlage ist eine groteske Parabel über den Moskauer Alltag in den Zwanzigerjahren: Der Straßenköter Bello wird mittels Organtransplantation zum Bürger Bellow, mit allen Rechten und Pflichten eines russischen Proletariers jener Zeit.

Vergeben wurde der erste Preis an den in Berlin lebenden griechischen Komponisten Antonis Anissegos. Seiner Fassung des Kammereinakters sind allerdings die Entwürfe des zweiten und dritten Preisträgers in konzertanter Form vorangestellt, um die Juryentscheidung auch dem Publikum transparent zu machen. Während der einundzwanzigjährige Komponist Torben Maiwald (dritter Platz) sein „Hundeherz“ in ein verschrobenes Zusammenspiel von barocken Rezitativen, triefig-frömmelnden Chorgesängen und polterndem Blechkanistergedröhn hüllt, versucht Roland Merz (zweiter Platz), mit beschwingten und melancholischen Musicalanklängen eine „ironische Distanz zum sozialkritischen Text“ aufzubauen. Nach diesen jeweils etwa zehnminütigen Szenarien schließt sich der rote Vorhang der Kasperletheaterbühne, über der in ebenso roten kyrillischen Lettern das Wort „Progress“ für den medizinischen Fortschritt wirbt. Und wieder Schnitt.

Nach der Pause wird die Komposition des Wettbewerbsgewinners aufgeführt. Was dann inmitten des von Stuhlreihen umringten Spielfelds an zukunftweisender Kreativität geboten wird, hat mehr von einer Farce als von einer Oper. Musikalisch versagt die Inszenierung vor allem durch das fehlende Zusammenspiel von Text und Ton. Der polyfone, oft stimmbrüchig klingende Sprechgesang des fünfköpfigen Ensembles konkuriert emotionslos mit der spröden, new-jazzig angehauchten Klangkomposition des begleitenden Quintetts aus Horn, Cello, Flöte, Gitarre und Schlagwerkzeug. Regisseur Peter Lehmeier versucht gleichzeitig, das Publikum mit Slapstick- und Comedy-Einlagen zu amüsieren, vorbei am sarkastischen Unterton der bulgakowschen Textvorlage. Mit gehäuteten Gummikatzen, Säge und Kartoffelstampfer als OP-Besteck sowie fliegenden Suppenhühnern und Eingeweiden wird die Geschichte dem Kalauer geopfert, ohne den zeitlosen Kontext der Fabel sichtbar zu machen – vom mutierten Köter zum geklonten Bürger?

Schade nur, dass die neue Opernpreisproduktion damit kaum an den letztjährigen großen Erfolg von „Alice“ anknüpfen kann. Nach etwa einstündigem Bühnenspektakel wird das Publikum, etwas ermüdet von so viel innovativer Energie und konzeptloser Kreativität, aus dem Operationssaal der Neuköllner Oper entlassen. Man fragt sich, was wohl aus den anderen beiden kompositorischen Ansätzen geworden wäre. Für Anissegos’ Version wäre Lola jedenfalls nicht gerannt. PAMELA JAHN

Vorstellungen: 25. und 30. 11., 1.–2.,7.–9. und 14.–16. 12., 20 Uhr, Neuköllner Oper, Karl-Marx-Str. 131–133