: Deutsch-deutsches Pilstrinken
Die gleich vierfach eingesetzten Ermittler im Jubiläums-„Tatort“ schlurfen umständlich durch die Story und Leipzig, und die angemessene Stimmung will sich trotz kollektiven Alkoholkonsums nicht einstellen („Quartett in Leipzig“, So., 20.15 Uhr, ARD)
von CHRISTIAN BUSS
Kleines, ödes Leipzig: Jeder kennt hier jeden, weshalb sich die Ermittlungen zu Mordfällen praktischerweise mit Arztbesuchen verbinden lassen. Hauptkommissar Ehrlicher (Peter Sodann) jedenfalls lässt sich ausgerechnet von Professor Kleist (Vadim Glowna) einen Schatten auf der Lunge attestieren. Und zufälligerweise fungiert der renommierte Mediziner als Ehrenvorzitzender der Burschenschaft Votania, in deren Umfeld gerade zwei Morde geschehen sind . . .
Ermittler Ehrlicher schlurft nach der Besorgnis erregenden Diagnose verständlicherweise mit hängenden Schultern durch die Handlung, was erklären mag, warum sich die Untersuchungen unglaublich langsam dahinschleppen. Überhaut geht es in diesem Jubiläumstatort sehr umständlich zu. Das dürfte damit zu tun haben, dass die Drehbuchautoren allerhand Vorgaben zu erfüllen hatten. 30 Jahre „Tatort“ – da darf man den Zuschauer schon noch mal auf die Einzigartigkeit dieses Unterfangens stoßen. Also werden in die Handlung ein paar Verweise auf die föderal ausgerichtete Produktionsstruktur eingebaut, und natürlich ordentlich Reminiszenzen in eigener Sache ausgestreut: Der Kontinuität des Projekts trägt man schon plakativ im Titel Rechnung, denn „Quartett in Leipzig“ ist natürlich eine Anspielung auf „Taxi nach Leipzig“, der legendären ersten Folge der Reihe, in der Walter Richter als Kommissar Trimmel quer durchs damals noch getrennte Deutschland ermittelte. Auch diesmal erstrecken sich die Untersuchungen von Westen nach Osten, weshalb Ehrlicher und Kompagnon Kain (Bernd Michael Lade) Besuch von den Kölner Kollegen Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) bekommen.
Nun musste sich der freundliche Sachse Ehrlicher in der Vergangenheit ja schon des öfteren mit den Bescheidwissern aus dem Westen auseinandersetzen. Als die Fernsehfigur 1992 ihren Dienst antrat, wurde ihr sogar ein Westdeutscher als Amtsleiter aufgedrückt – gespielt von Gustl Bayrhammer, selbst ein früher „Tatort“-Kommissar. Und auch andere Kollegen aus den alten Bundesländern steckten immer wieder ihre Nase in die Ermittlungen des Ossis.
Diese Personalpolitik diente, wie es im ARD-Jargon heißt, der „Vernetzung“ der Serie. So gesehen gab es beim MDR-Tatort schon immer viel Raum, um sich mit deutsch-deutschen Vorurteilen auseinanderzusetzen. Das Sequel „Quartett in Leipzig“ beleuchtet da kaum neue Aspekte. Aber wie sollte das auch gehen? Schließlich sind die vier Polizisten alle passionierte Pilstrinker und sich einfach viel zu ähnlich, um lange aneinander vorbeizureden. So gesehen birgt die personelle Konstellation wenig Konfliktpotenzial.
Deshalb ging man für „Quartett in Leipzig“ wenigstens erzähltechnisch ein bisschen forscher zur Sache. So nehmen die Ermittler-Duos ausgerechnet über die Handys der beiden ermordeten Burschenschaftler miteinander Kontakt auf. Zugegeben, ein hübscher Einfall. Doch im Verlauf der Untersuchungen agieren die beiden Parteien nebeneinander anachronistisch im Split-Screen; und spätestens hier wird die Einfallslosigkeit der „Tatort“-Macher deutlich. So stellt auch die im großen Stil promotete Jubiläumsausgabe der tradtionsreichen Serie ein weiteres Symptom für ihre dahinsiechende Relevanz dar.
Interessanterweise war es der Tatort-erfahrene Großregisseur Dominik Graf, der 1998 das Dilemma des prestigetheischenden TV-Projekts auf den Punkt brachte – und das ausgerechnet in einer Festschrift zur 400. Folge: Trotz der Länderkompetenz, so seine nüchterne Diagnose, mangele es den meisten Produkionen an lokalem Bezug. Graf klagte eine topographische Genauigkeit ein, mit der die Filme von den Orten erzählen sollten, an denen sie spielen. Auch anno 2000 setzt sich der schleichende Realitätsverlust des Tatorts fort: Zwar kokettieren die Verantwortlichen gerne damit, in ihrer Serie brennende gesellschaftliche Themen wie Rechtsradikalismus oder die Machenschaften der Pharmaindustrie aufzugreifen – die Wirklichkeit der Städte kommt jedoch meist nicht vor.
Auch nicht in Folge 458: Denn so sehr die vier Koproduktions-Kommissare mit Lobpreisungen unterschiedlicher Biersorten lokale Verbundenheit demonstrieren, so wenig sieht der Zuschauer von ihren Heimatstädten. Die kommen allenfalls im Postkartenlook daher: Zweimal wird der seltsam aufgeräumte Leipziger Hauptbahnhof ins Bild gerückt, von Köln sieht man nur ein ungewöhnlich blank poliertes Ortsschild. Statt bei ihren Kollegen im anderen Deutschland vorbeizuschauen, sollten die Ermittler also lieber mal wieder einen ernsthaften Blick vor die eigene Haustür riskieren.
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