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The Cell

Nur ein verlängerter Videoclip zu sein, ist einer der beliebtesten Vorwürfe an einen Film. Im Falle von „The Cell“ könnte er nicht treffender sein.

Und das nicht nur, weil Regisseur Tarsem Singh vor seinem Spielfilmdebüt sein Geld tatsächlich mit der Bebilderung von Popsongs und Werbebotschaften verdiente und für den Clip zu REMs „Losing My Religion“ die einschlägigen Preise einheimste. Die Geschichte von der Psychologin, die sich per Datenleitung in den Kopf des im Koma liegenden Serienkillers begibt, um dort den Verbleib seines letzten Opfers in Erfahrung zu bringen, hat der in Indien geborene Tarsem dann tatsächlich wie eine Lip-Gloss-und-Push-up-Bra-Version von „Schweigen der Lämmer“ inszeniert.

Mit einem entscheidenden Unterschied: Für das, was Jonathan Demme in seinem Klassiker nahezu ausschließlich im Kopf des Zuschauers ablaufen lässt, was Anthony Hopkins und Jodie Foster mit Schauspielerei beschwören, dafür sucht Tarsem Bilder. In Farbe und zweidimensional. Das funktioniert trotzdem, muss man zugeben, zeitweise ganz passabel.

Wird mitunter aber auch einfach lustig: So sieht es im Kopf des Serienkillers meistens aus wie auf einem Heavy-Metal-Cover aus den 70er-Jahren und das Gemüt der Psychiaterin erinnert an ein Bollywood-Musical, quietschbunt und voller Blumen. Ob Fotos von Helmut Newton, Plastiken von Jeff Koons, Avantgarde-Kino oder die Malerei von Francis Bacon – zitiert wird alles und noch ein bisschen mehr. Auch ansonsten läuft in „The Cell“ das komplette Programm ab: Die gerade angesagten Stop-Motion-Tricks aus „Matrix“, Ultrazeitlupe, Computeranimation, verwegene Kamerafahrten. Schließlich wird ein Pferd in Scheiben geschnitten und wie eine Ziehharmonika aufgefächert, damit man die inneren Organe auch schön puckern sehen kann.

Sehen also kann man allerlei, was ja an sich keine schlechte Sache ist. Schließlich sind wir im Kino. In den USA aber nennt man das „eye candy“, Süßkram für die Augen, und das impliziert, dass einem von zu viel Zuckerzeug schlecht wird. Man stelle sich vor, man müsse einem 107 Minuten langen Marylin-Manson-Clip zusehen. Die Entwicklung der Charaktere und der Geschichte, gar ihre interne Logik werden inmitten des Bildersturms zur lästigen Nebensache.

Andererseits, und das ist das Absurde am High-Tech-Kino unserer Tage, ist die gruseligste Szene eine, die man schon vor hundert Jahren so hätte drehen können: Der Killer, allein in der Badewanne, spielt selbstvergessen mit dem Wasser und singt ein Kinderlied vor sich hin. Mehr als gute Schauspielerei und ein bisschen Licht braucht es nicht, um klar zu machen, dass dieser Mann zu allem, zu allem fähig wäre. Das reicht. Das allein macht Angst, richtig böse Angst. Einige von Tarsems Werbespots haben es bereits ins Museum of Modern Art geschafft. „The Cell“ wird wohl draußen bleiben müssen. THOMAS WINKLER

„The Cell“. Regie: Tarsem Singh, Buch: Mark Protosevich. Mit Jennifer Lopez, Vince Vaughn, Vincent D’Onofrio. USA 2000, 107 Min.