„Ich bin kein Dichterfürst“

von JENS KÖNIG
und PATRIK SCHWARZ

Freitag, 24. November, 9.30 Uhr

Michael Roik, meinen Mitarbeiter, habe ich in den Saal geschickt, in dem ich mein Tagebuch vorstellen werde. Er zählt schon mal die Stühle für die Journalisten: 19 Reihen, 375 Plätze. Ob das reichen wird? Roik berichtet, dass bis jetzt nur ein Journalist von dieser Dingsdabumsda, von dieser . . . taz da ist. Seit wann sind die Linken Frühaufsteher?

11.00 Uhr

Die Schlacht beginnt. Ich betrete den Saal. Suche im Publikum den selbst ernannten Aufklärer von der Süddeutschen Zeitung, diesen Leyendecker. Kann ihn nicht entdecken. Sehe aber gleich mehrere Leute vom Spiegel. Die haben ihre Story bestimmt schon wieder fertig.

11.07 Uhr

Mein Verleger sagt einige Worte zu meinem Buch. Er stellt mich als Helmut Kohl vor. Ich lege eigentlich Wert auf eine korrekte Anrede: Dr. Helmut Kohl oder Herr Bundeskanzler. Sollte ich vielleicht den Verlag wechseln?

11.12 Uhr

Ich übernehme das Wort. Wie sie alle gleich hektisch mitschreiben. Wissen doch sonst immer schon alles.

11.15 Uhr

Ich erzähle, dass ich überrascht bin, mit welcher Überzeugungskraft manche Zeitgenossen über ein Buch urteilen, das sie noch gar nicht gelesen haben. Bitte, lesen Sie das Buch wirklich, sage ich, studieren Sie es! Warum lachen plötzlich alle?

11.20 Uhr

Spiele meine ganze Erfahrung als Historiker aus. Erzähle, dass die Sozis und die Grünen die Ergebnisse von sechzehn Jahren Kohl-Regierung verfälschen wollen. Wieder Gelächter im Saal. Respektloses Pack. Denke an Hannelore und meine Söhne. Für sie bin ich noch immer der Kanzler!

11.27 Uhr

Ich sage, dass ich Fehler gemacht habe und dazu stehe. Ich werde das in der nächsten Stunde noch zehnmal wiederholen. Aber irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass mir das hier keiner abnimmt. Was erwarten die?

11.33 Uhr

Ich verschweige nicht, dass ich in den letzten Monaten sehr gelitten habe und dass auch meine Partei eine schwere Zeit hatte. „Das tut mir Leid“, sage ich.

11.40 Uhr

Jetzt noch ein paar Worte zu Schäuble. Bei diesem Thema glaubt mir ja auch immer keiner. Der Bruch mit ihm hat mich tief getroffen. Ich hoffe, dass wir wieder zueinander finden. Aber der Wolfgang fühlt sich von mir ja immer gleich erdrückt.

11.45 Uhr

Jetzt kommen die ersten Fragen. Attacke! Ob ich wirklich Tagebuch geschrieben hätte, fragt einer. Was soll das? Natürlich bin ich keiner, der die ganze Nacht Tagebuch schreibt, räume ich ein, aber Notizen habe ich immer gemacht. Überlege, ob ich meinen kleinen Kalender zeigen soll.

11.48 Uhr

Gleich die zweite Frage ausgerechnet von Kurt Kister von der Süddeutschen Zeitung. Gott, ist die Frage naiv! Ob ich wirklich glaube, dass es bei der Aufklärung des Spendenskandals Absprachen zwischen Journalisten und Ermittlungebehörden gegeben habe? „Herr Kister“, sage ich, „ich bewundere Sie. Dass ausgerechnet Sie diese Frage stellen! Sie unterschätzen die Intelligenz der hier Anwesenden und meine sowieso.“ Ich laufe zur Hochform auf. Ohne den Namen zu nennen, haue ich gleich noch den Leyendecker in die Pfanne. Ich verweise auf das Buch „Die BKA-Story“, wo man nachlesen kann, wie dieser Herr im Fall des RAF-Terroristen Wolfgang Grahms Nachrichten gefälscht hat.

11.55 Uhr

Ich bin nicht mehr zu bremsen. Ich erzähle eine Geschichte von dem Grünen Ströbele, der laufend unbewiesene Behauptungen aufstellt. Ich bezeichne es als das, was es ist: eine Verschwörung der Linken gegen Helmut Kohl. Ein Journalist ruft dazwischen, was daran eine Verschwörung der Linken sein soll. Sind das hier alles Sozen oder wie? Wo sind die Leute von der Welt?

12.02 Uhr

Die ersten Journalisten gehen. Schwache Blase, wie?

12.10 Uhr

Kaum noch Fragen. Damit hätte ich nicht gerechnet. Ich habe doch noch so viel Zeit. Wo ist der Roik? Was ist hier los? Hannelore!!

12.15 Uhr

Jemand will wissen, ob mein Buch eine Abrechnung sei. Nein, sage ich. Angegriffen hätten mich die anderen. Wörtlich: „Der Geißler flippt doch aus, wenn er nur meinen Namen hört.“

12.20 Uhr

Warum kein Laudator mein Tagebuch vorgestellt habe. Jeder, der das vorgestellt hätte, wäre doch ein armer Hund, antworte ich. Gerade die Journalisten hätten den doch für dumm erklärt, sich von mir einspannen zu lassen. Clevere Antwort. Ich fühle mich wieder sicherer.

12.21 Uhr

Warum nicht Schäuble oder Merkel das Buch vorgestellt hätten. „Jetzt werden Sie geschmacklos“, antworte ich, „das sollten Sie nicht tun.“

12.25 Uhr

Letzte Frage. Ob ich auf Lesereise gehe. Nein, sage ich, keine Lesungen. Ich werde nur ein paar Autogramme in Buchhandlungen geben. Ich bin doch kein Dichterfürst.

12.27 Uhr

Schluss. Glatter Punktsieg. Ich rufe sofort zu Hause bei Hannelore an. Sie ist auch zufrieden. „Phoenix“ hat alles live gebracht, sagt sie. Na also. Wenn es so weiterläuft, trete ich in zwei Jahren noch mal gegen Schröder an.