Rettungstrick für die Kita-Card

Trotz Iska-Studie hält Senatorin Pape am Reformprojekt fest. Angeblich hohe „Unternutzung“ von Ganztagsplätzen schafft die Behörde mit Rechen-Kunststück  ■ Von Kaija Kutter

Weihnachten ist vorbei und es gab keine Geschenke. So in etwa war die Stimmung im Jugendausschuss der Bürgerschaft, als Senatorin Ute Pape offiziell die vom Institut für soziale und kulturelle Studien (Iska) erstellte Machbarkeits-Studie für die Kita-Card vorstellte. Das Ergebnis ist für die Reform-Verfechter frustrierend. Um allen Berufstätigen über den Rechtsanspruch auf vier Stunden hinaus eine ausreichende Kinderbetreuung zu garantieren, fehlen rund 16.700 Plätze. Und es fehlt der Senatorin jede Idee, wie diese finanziert werden könnten.

Die GAL-Abgeordnete Sonja Deuter würde die Studie am liebs-ten in die Tonne treten. Die Iska-Forscher hätten die „Note 6“ verdient, habe die Studie doch „keinerlei Aussagekraft“ für das geplante Kita-Card-Modell. Auch die Senatorin distanzierte sich von dem Werk, es enthalte „keine objektiven Daten“ und Irrtümer seien nicht auszuschließen. Nun fällt es ausgerechnet den Kita-Card-Kritikern zu, das 70-Seiten-dicke „Kita-Card-Szenario“ zu würdigen. So spricht Familien Power von einem „wissenschaftlich seriösen Diskussionbeitrag“.

Tasächlich gingen die SozialforscherInnen Günter Krauss und Sigrid Zauter eher vorsichtig vor. Sie fragten 6200 per Zufall ausgesuchte Eltern nach ihren Arbeitszeiten und die, die nicht arbeiten, nach den Gründen dafür. Nur wenn eine Mutter von sich aus „fehlende Kita-Plätze“ angab, wurde sie als „potentielle Nachfragerin“ im „Kita-Card-Szenario“ berücksichtigt. Eine eher „konservative Fragemethode“, wie die ForscherInnen bemerken. Es sei davon auszugehen, dass sich die Nachfrage nach Einführung der Kita-Card „sukzessive erhöht“. Im Szenario, das die drei Altersgruppen Krippenkinder, Vorschulkinder und Schulkinder unterteilt, macht diese Gruppe nicht mal zwei Prozent aus.

Das Gros der zusätzlichen Nachfrage entsteht laut Studie jedoch, weil die Geburten gestiegen sind. Dazu kommt, dass ein großer Teil berufstätiger Eltern von Kindern im Krippen- und Schulalter zur Zeit keinen Kita-Platz hat. Iska unterteilte diese in „Zufriedene“ und „Unzufriedene“ und teilte letzteren eine Karte zu.

Für die Rot-Grünen-Jugendpolitiker brach eine Welt zusammen, vermuteten sie doch im Kita-Bereich noch große Effektivitätsreserven. Eine vom Amt für Jugend im Mai 1999 erhobene „Aktenanalyse“ hatte ergeben, dass 30 Prozent der Ganztagsplätze an Eltern vergeben wurden, die nicht arbeiten. „Darin sah man ein Potential, das eventuell eine Platzgarantie ermöglicht“, erklärte Amtsleiterin Vera Birtsch vor dem Ausschuss. Der Anteil tatsächlich berufstätiger Eltern ist nun „höher, als wir erwartet hatten“, ergänzte ihr Mitarbeiter Jürgen Näther.

Doch eine zweite Reserve vermutet man nach wie vor, und dies soll offenbar der Rettungsanker für die Kita-Card sein. 25 Prozent der Ganztagsplätze, so erklärte Pape kürzlich in der Welt, würden nicht ausgenutzt, weil die Eltern ihre Kinder früher abholen. Iska belege, dass es „zu viele Ganztags- und zu wenig Teilzeitangebote“ gibt, sagte Pape auch vor dem Ausschuss. Diese „Unternutzung“ zeige, wie sinnvoll die geplante Nachfrageorientierung sei. Willigt man Eltern nur noch sechs Stunden zu – so die Logik – müssen Träger diese von ihnen ungeliebten Plätze anbieten.

Tatsächlich stellt auch Iska einen Mangel von knapp 9000 Sechs-Stundenplätzen fest und einen Überschuss von knapp 3000 Ganztagsplätzen. Allerdings hat das Amt für Jugend, das die Vorgaben für das Kita-Card-Szenario machte, hier einen Trick angewandt. Acht von zehn Kindern, die aus „sozialen Gründen“ einen Kita-Platz haben, sollen künftig nach sechs Stunden nach Hause. Rechnet man die, die bisher länger betreut wurden, wieder heraus, so fehlen sogar 700 Ganztagsplätze. Abgesehen davon, dass der Begriff „Unternutzung“ pädagogisch arg umstritten ist, weil kleinere Gruppen am Nachmittag für Kinder nur gut sind, lässt sich ein großer Bedarf an Teilzeitplätzen aus der Iska-Studie kaum ableiten. Die Eltern wurden detailliert nach ihren Arbeitszeiten gefragt. Weniger als vier Stunden arbeiten beispielsweise nur 25 Prozent der Mütter von Krippenkindern. Da An- und Abfahrtzeiten zur Arbeit mit einberechnet werden müssen - Iska geht von 90 Minuten aus - können Eltern, die fünf Stunden und länger arbeiten, mit sechsstündiger Betreuung nichts anfangen. Die Hälfte der befragten Eltern hat gar so unregelmäßige Zeiten, dass sie keine konkreten Angaben machen konnte.

Die Studie, die im März noch einmal öffentlich im Jugendausschuss erörtert werden soll, offenbart die Regeln, nach denen künftig Plätze vergeben werden. Arbeiten Mütter beispielsweise unregelmäßig, wird die Wochenstundenzahl – ohne Wegezeit – mit 1,5 multipliziert und durch fünf geteilt. Arbeiten beide Eltern, gibt es die Kita-Card nur für die Zeit, in der sich dies überschneidet. Mütter von Schulkindern, die exakt in der Schulzeit arbeiten, bekommen keine Karte. Iska geht davon aus, dass für die 45 Minuten vor und nach der Arbeit keine „institutionelle Betreuung“ in Anspruch genommen wird und nimmt nochmal 5116 Hortplätze aus der Statistik. Auch Kinder von Müttern, die nur an zwei Tagen arbeiten, bekommen keine Kita zu sehen. Sie sollen diese Zeit in der Tagespflege verbringen. Hier wird deutlich, warum Kritiker sagen, es ginge bei dieser Reform nicht um die Kinder. Denn denen ist vor allem eines wichtig: regelmäßig andere Kinder zu sehen.