Ein Bernhard zum Totlachen

■ Am Stadttheater Bremerhaven hat Werner Gerber „Die Macht der Gewohnheit“ im Stile des Ohnsorg-Theaters inszeniert. Dem Stück von Thomas Bernhard wird das nicht gerecht

Zirkusdirektor Garibaldi hat eine Passion. Seit 22 Jahren probt er mit seiner Artistenfamilie das Forellenquintett von Franz Schubert. Weil er es darin zur Perfektion bringen will und er von der großen Kunst-Erfüllung träumt, haben diese Proben noch niemals geklappt. Ein Stoff für ein Drama.

„Die Macht der Gewohntheit“ von Thomas Bernhard im Kleinen Haus des Stadttheaters ist eine späte Entdeckung, Bernhard wurde in Bremerhaven letztmals vor 15 Jahren gespielt. Mag sein, dass der Gastregisseur Werner Gerber deshalb gedacht hat, er müsste ihn so schlicht wie möglich inszenieren, um dem Publikum den Eindruck zu nehmen, es handle sich um das schwere Stück eines schwierigen Autors. Tatsächlich liegt die große Kunst darin, Bernhards düsteren Blick auf die Menschen ganz leicht zu machen, seinen Ernst im Unernst aufzuheben.

Der Auftakt lässt Spannendes erwarten. In einer Rumpelkammer hinter den Zirkuskulissen sitzt der rheumageplagte Garibaldi im Ohrensessel. Er spricht mit dem Jongleur, den Christel Leuner als fette alte, weiß geschminkte Frau im abgewetzten Hosenkleid wunderbar beweglich darstellt. Bernd Stichler darf die tyrannischen Nörgeleien des Direktors zunächst fast beiläufig und sehr leise äußern. Garibaldi hat die Reitpeitsche mit dem Cellobogen vertauscht, jetzt sind es keine Pferde mehr, die er vorführt, sondern Menschen, die er zu Instrumenten seines Kunstwillens macht: Seine Enkelin (Selma Baldursson), Seiltänzerin, spielt die Viola, der Jongleur die Geige, der Dompteur (Kay Krause) das Klavier, der Spaßmacher (Frerk Brockmeyer) den Kontrabass.

Die Mitglieder des Quintetts kommen nicht voneinander los, statt der Schubert'schen Harmonie herrschen (Ohn-)Macht und Abhängigkeit. Der Jongleur träumt vergeblich vom Engagement im Ausland, der Dompteur (im knappen Tigerfell-Kostüm) erstickt seine Unfähigkeit zur Flucht im Suff und lebt seinen Machtwillen ungeniert an dem Spaßmacher aus. Den legt der Regisseur als einen geistig zurückgebliebenen jungen Mann – als buchstäblich dummen August – an. Frerk Brockmeyer hält überzeugend die entsprechend komisch-kindischen Züge durch. In ihrer Entwicklung zurückgeblieben wirkt auch die Enkelin, eine erwachsene Frau auf dem Stand einer 12-Jährigen.

Gerber nimmt fast allen Figuren den Schatten, er verkleinert sie im Verlauf des Spiels immer stärker zu Karikaturen, und damit nimmt er dem Stück sein Gewicht. Denn man muss sich fragen, wie jemand auf die Idee kommen kann, mit diesem Personal ein kompliziertes Werk einüben zu wollen. So wird die musikalische Form der Bernhard'schen Sprache mit ihren permanenten Wiederholungen zum hölzernen Gehacke eines starrköpfigen Eigenbrötlers, der seine leicht debilen MitspielerInnen so lange traktiert, bis sie es nicht mehr ertragen und – in diesem Fall – in den Tod springen. Das Publikum darf lachen und mit der tröstlichen Erkenntnis nach Hause gehen, dass Tyrannen ihrer gerechten Strafe nicht entgehen: Sie bleiben allein.

Nur einmal, nach der Pause, scheint eine andere Möglichkeit auf, wenn alle abgeschminkt sind und schweigend auf wenige Takte des Forellenquintetts hören. Hier sitzen Träumer in ihrem jeweils eigenen Gefängnis. Danach wird Thomas Bernhard zu Ohnsorg-Theater zertrümmert, die grelle Komik bleibt schmerzfrei, ohne Zwischentöne und Nebenwirkungen. Die Einzige, die sich diesem Konzept von Anfang an entzieht, ist Christel Leuner. Ihr trauriger und komischer Jongleur lässt eine Ahnung von dem bitteren Untergrund dieses Stücks zu. Er ist dem Regisseur offenbar einfach entwischt. Diese Schauspielerin lässt sich nicht verkleinern.

Hans Happel

Die nächsten Aufführungen: 29. November, 9., 12., 20. und 28. Dezember. Infos: Tel.: 0471/490 01