„Den Rechten die Plätze nicht überlassen“

Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) betont, dass der Kampf gegen Rechtsextremismus den Einsatz aller erfordert. Die geforderte Beschränkung des Demonstrationsrechts ist ihm nur am Holocaust-Mahnmal einsichtig

taz: Herr Thierse, auf der Kundgebung gegen die NPD-Demonstration haben Sie gesagt: „Wir überlassen den Braunen nicht unsere Stadt.“ Sollten so, wie es am Samstag lief, dass nämlich wegen der Gegendemonstration der NPD-Aufmarsch von der Polizei beendet wurde, in Zukunft immer rechte Kundgebungen verhindert werden?

Wolfgang Thierse: Das wird vielleicht nicht immer gelingen. Aber es zeigt, dass der Kampf gegen den Rechtsextremismus den Einsatz aller Bürgerinnen und Bürger – und nicht nur von den „Profis“, also von Polizisten und den Politikern da oben – erfordert. Man darf den Rechten die öffentlichen Plätze nicht überlassen – vor allem nicht in Berlin, wohin sie ja mit Absicht nun schon zum fünften Mal in diesem Jahr gekommen sind, um Aufmerksamkeit zu erreichen.

Haben Sie die Hoffnung, dass sich die Zahl der Gegendemonstranten auf diesem Niveau wird halten lassen, wenn womöglich bald wieder eine Gegendemonstration nötig werden könnte?

Das weiß ich nicht. Aber ich habe zumindest den Eindruck, dass es für eine Gegendemonstration keiner erheblichen Ermunterung bedarf. Es gibt in der Stadt genug Demokraten, um den Aufmärschen der Rechten etwas entgegen zu setzen.

Der Berliner CDU-Generalsekretär Ingo Schmitt ist der Ansicht, die Gegendemonstrationen werteten die Kundgebungen der Rechten in Berlin auf – sind Sie auch dieser Meinung?

Wie soll ich das kommentieren?! Wenn Dutzende Fernsehkameras auf die rechten Demonstranten gerichtet sind, dann werden sie allein dadurch aufgewertet. Ich bin allerdings der Ansicht, dass eine Demonstration demokratischer Bürger gegen die Rechtsextremisten einen höheren Wert hat und diese Kundgebung der Demokraten aufgewertet werden müsste. Die Rechtsextremisten, die auf eine Ermüdung der demokratischen Öffentlichkeit nach der Großdemonstration vom 9. November spekuliert haben, sind eines Besseren belehrt worden.

Die Innenminister-Konferenz hat Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) beauftragt, einen Gesetzentwurf im Bundestag einzubringen, der eine Einschränkung des Demonstrationsrecht an historisch und kulturell bedeutenden Orten wie dem Brandenburger Tor ermöglichen soll. Nach den Erfahrungen vom Samstag: Halten Sie eine solche Einschränkung überhaupt für nötig?

Unmittelbar einsichtig erscheint es mir, am geplanten Holocaust-Mahnmal oder bei früheren Konzentrationslagern befriedete Bezirke einzurichten. Denn diese Stätten sollten, wie Friedhöfe, Orte der Ruhe sein. Was den Pariser Platz anbelangt, möchte ich von der Notwendigkeit einer solchen Einschränkung des Demonstrationsrechts noch überzeugt werden. Mir erscheinen die schon bestehenden rechtlichen Möglichkeiten bisher noch als ausreichend.

Ihre Teilnahme an der Gegendemonstration vom Samstag hat sie aufgewertet und wahrscheinlich dazu geführt, dass doch die Zahl von offiziel rund 3.000 Teilnehmern erreicht wurde. Werden Sie auch bei der nächsten Gegendemonstration dabei sein?

Ich werde das nicht ankündigen, sondern meine Teilnahme von der jeweiligen Situation abhängig machen. Aber ich nehme mich selber beim Wort, dass es nicht darum gehen darf, den rechtsradikalen Untrieben nur zuschauend zu begegnen. Wenn Politiker wie ich dazu auffordern, hinter dem Kachelofen hervorzukommen und gegen die Rechten zu demonstrieren, müssen sie sich auch selbst daran halten.

Interview: PHILIPP GESSLER