Absturz statt Aufschwung?

Die deutschen Basketballerinnen freuen sich eigentlich auf eine bessere Zukunft, sind aber nach der 79:91-Niederlage gegen Litauen in der EM-Qualifikation auf fremde Hilfe angewiesen

„Wenn wir bei der EM nicht dabei sind, ist das ein irreparabler Rückschritt.“

von UTE BERNDT

Die nähere Zukunft könnte rosig sein – wenn sie denn stattfindet. Das deutsche Nationalteam der Basketballerinnen muss nach dem 79:91 am Samstag beim noch ungeschlagenen Spitzenreiter der Qualifikationsgruppe B, Litauen, um seine Teilnahme an der Europameisterschaft im September in Frankreich ernsthaft bangen. Der Zeitpunkt, die eigene Arbeit und Perspektive in Frage zu stellen, ist allerdings denkbar schlecht. Denn in den sieben Jahren, in denen die DBB-Auswahl sich konstant auf höchster europäischer Ebene bewegt, hat es noch nie so viele viel versprechende Entwicklungen gegeben wie derzeit.

Nachdem Bundestrainer Bernd Motte in der jüngsten Vergangenheit oft sogar Schwierigkeiten hatte, zwölf starke Korbjägerinnen für den Nationalkader zu benennen – die sich dann aber mit anerkennswerten Kraftakten zum Bronzemedaillengewinn bei der EM 1997 in Ungarn und ins Achtelfinale der WM 1998 im eigenen Land durchbissen – steht jetzt eine Vielzahl von Talenten bereit, die Routiniers um WNBA-Profi Marlies Askamp zu unterstützen und mittelfristig abzulösen. Erstmals nach mehr als einem Jahrzehnt war im Sommer wieder ein deutsches U18-Team bei der EM-Endrunde dabei, die neu ins Leben gerufene U20 des Deutschen Basketball Bundes (DBB) gehörte ebenfalls zu den besten Nachwuchsmannschaften des Kontinents.

Doch nun droht dem A-Kader der Fall aus der Spitzengruppe der zwölf europäischen Top-Teams. Die Auswahl des DBB kann nach der Niederlage in Wilna, bei der Askamp mit 24 Punkten beste Werferin war, die EM-Qualifikation nicht mehr aus eigener Kraft erreichen. Am eigenen Sieg am Mittwoch beim sieglosen Tabellenletzten Dänemark hat Motte keinen Zweifel. Seine Sicherheit, was den für ein deutsches Weiterkommen ebenfalls nötigen Erfolg Litauens in Rumänien anbelangt, hat jedoch einen großen Knacks bekommen. Sein litauischer Kollege offenbarte ihm am Wochenende, er werde seine beiden besten und korbgefährlichsten Schützlinge, Jurgita Streimikyte und Jolanta Vilutyte, am Mittwoch schonen und in Arad lieber aufstrebenden Youngstern das Feld überlassen.

Auch wenn es nicht das erste Mal ist, dass das deutsche Team bei der EM-Qualifikation Schützenhilfe braucht – der Frust ist so groß wie die Angst, das Frankreich-Ticket zu verpassen. Denn die eigene Leistung stimmt. Mit einer Glanzvorstellung, ihrer besten seit langem, hatten die Spielerinnen am vergangenen Mittwoch in Freiburg ein vorzeitiges Aus verhindert. 90:59 wurde Rumänien überrannt. „Damit haben wir ein Ausrufezeichen gesetzt und die nicht so erfolgreiche Vergangenheit hinter uns gelassen“, freute sich Motte im Rückblick auf die Europameisterschaft 1999 in Polen, wo das DBB-Team enttäuschend Letzter geworden war.

„Es macht wieder Riesenspaß, mit der Mannschaft zu spielen, wir sind wieder ein richtiges Team“, gab Regisseurin Andrea Hohl (HaLi Wolfenbüttel) die allgemeine Stimmung wieder. Daran konnte auch die Niederlage in Litauen nichts ändern. „Heute war gegen einen übermächtigen Gegner wirklich nichts zu machen“, meinte Motte. „Wenn wir ausscheiden sollten, haben wir das in der Hinrunde durch die überflüssigen Niederlagen in Rumänien und zu Hause gegen Litauen verbockt.“ Beim 67:74 im rumänischen Arad ließen sich die Spielerinnen durch die aggressiven Fans einschüchtern, gegen Litauen fehlte beim 57:60 die Kaltblütigkeit.

So droht dem Nachwuchs die geeignete Entwicklungsbühne abhanden zu kommen. „Die Perspektivspielerinnen müssen auf höchstem Niveau Anschluss finden“, sehnt Motte die vierte EM-Teilnahme in Folge herbei. Er ist fest davon überzeugt, dass bei allen Fortschritten der Bundesliga nur der internationale Vergleich die Talente weiterbringt. Und den leisten sich in ihren Europaliga-Wettbewerben nur der BTV Wuppertal und Assist Aschaffenburg, die die nationale Liga dementsprechend souverän und von der Konkurrenz unantastbar anführen. Dennoch profitierte das Nationalteam von verbesserten Bedingungen bei den Klubs. In vielen Vereinen wird professioneller gearbeitet und häufiger trainiert als in den vergangenen Jahren. In einem halben Dutzend Klubs bekommen die jungen deutschen Spielerinnen neben dem täglichen Mannschaftstraining noch Gelegenheit, sich in individuellen Einheiten zu steigern. Und was im Männerlager beklagt wird, dass die einheimischen Talente auf der Bank versauern, weil zu viele ausländische Profis spielen, ist bei den Frauen nicht der Fall. Im Gegenteil, U20 oder sogar U18-Talente in die Startformation zu stellen, ist in dieser Saison richtig in Mode gekommen.

Da ist der Sprung in den A-Kader nicht mehr weit, was Motte mit der Nominierung der Aschaffenburgerin Martina Weber (18), die allerdings verletzt passen musste, und der Freiburgerin Esther Katona untermauerte. Weil ihre Teamkolleginnen gegen Rumänien so gut vorgearbeitet hatten, durfte die 18-Jährige Breisgauerin in heimischer Halle unter dem Jubel der 1.500 Fans sogar knapp fünf Minuten spielen. „Das war ein kleines Signal der kommenden Jugend“, freute sich der Bundestrainer und hofft inständig, schon in der EM-Vorbereitung im Frühjahr mehr davon setzen zu können.

Scheidet die Mannschaft hingegen am Mittwoch aus, werden schlagartig auch Geld und Reputation fehlen, um an gut besetzten Turnieren teilnehmen zu können, was wiederum die Chancen auf die nächste EM-Teilnahme schmälert. „Wenn wir in Frankreich nicht dabei sind“, weiß Motte, „ist das ein irreparabler Rückschritt.“