Väter der Klamotte

Herrschender Talk und hinterlistige Geschlechterstudien: Thomas Meinecke und der DJ Move Dbasteln auf der CD „Tomboy/Freud's Baby“ Theorietracks über das Weibliche und Freuds Gebärmutter

von CHRISTOPH BRAUN

Erst mal Oberflächen schaffen. Neutral wie ein „Tagesschau“-Sprecher sagt Thomas Meinecke zu Beginn der CD „Tomboy“ ein paar Outfits auf, als läge die Vogue vor ihm und er beschriebe die Fotostrecken. „Ein eierschalfarbenes Hochzeitskleid aus Seidentüll, mit leicht drapiertem tiefem Ausschnitt und Applikationen auf dem Rücken. Hochgestochener Federnschmuck.“ Hier ist die Welt noch in Ordnung, Frauen tragen Frauenkleider, das ist halt so. Als sich die Musik dann aber etwas aufgewärmt hat, geht das Fragen los („Was war eigentlich ein Dekolletee – eine Asymptote?“) und führt den Vortragenden vom Dekolletee zum Dekonstruieren der Geschlechteridentitäten.

Wer Meineckes Roman „Tomboy“ gelesen hat, kennt diese aufreibenden Interrogationen. Da schreibt die Protagonistin Vivian eine Magisterarbeit über „Haben, Sein und Scheinen“, und die ist ausschließlich in Fragen verfasst. Aus dem Roman hat Meinecke jetzt eine Art diskursiven Hörspiel-Track gemacht. Fragmente des Buches tauchen zwischen den weiträumigen Sound-Texturen auf, die in Zusammenarbeit mit dem DJ David Moufang alias Move D entstanden sind. Gemeinsam schmiedeten sie die groben Pläne und gingen schließlich mit dem Vibrafonisten Karl Berger und dem Elektroniker und Gitarristen Andrew Peckler ins BR-Studio.

Überhaupt der Bayerische Rundfunk. Dort arbeitet Thomas Meinecke als Radio-DJ. Und im Fernsehprogramm des Senders rauscht die immer wieder gern angezappte „Space Night“, deren Prinzip gar nicht weit entfernt ist vom Vorgehen auf den beiden Platten. Wie die Satelliten eine erhebliche Distanz brauchen, um die ganze Erde ins Bild zu bekommen, entfernen sich die Textpassagen weit von der biologistischen Alltagstheorie, nach der man „als Mann“ oder „als Frau“ zur Welt kommt.

Gezündet wird das Theorie-Unternehmen von Judith Butler, den Treibstoff liefert Jacques Lacan, und die Versorgung an Bord kommt von Luce Irigaray. Die Überlegungen werden collagiert über einem zarten Space-Jazz, der sich seine Beats aus Minimal und Ambient Techno holt. Und damit sich das alles nicht in Theorietiefen verliert, geben Meinecke und Move D den Machtmechanismen hinter den Geschlechterkonstruktionen ein Gesicht: Von Zeit zu Zeit wiederholen sie die erste Strophe von Ann-Margrets Sixties-Song „How lovely to be a woman“. Sie beginnt mit „How lovely to be a woman / The way it was way worthwile / How lovely to wear mascara / And smile a woman's smile.“

Nicht nur schreibt dieses Lied weibliche Stereotype fest – es ist auch noch von einem Mann geschrieben worden. Ob also „eierschalfarbene Hochzeitskleider“ oder „a woman's smile“ – beide werden per Konfrontation mit den hinterlistigen Geschlechterstudien immer deutlicher als Fabrikationen eines „herrschenden Talks“ (Meinecke im Interview) herausgestellt. Und diesen Talk führen Männer in Gestalt schwuler Couturiers und phallischer Rock-'n'-Roll-Sänger, bis sie sich verplappern: „Elvis Presley hatte sich vor seinem Auftritt eine leere Klopapierrolle in die Unterhose gehängt und damit, per abnehmbaren Teil ja nur vermeintlich maskulinisiert, die Verfügbarkeit auch der Männerrolle im wahrsten Sinne des Wortes herausgestellt. Der Mann als Männer-Darsteller, eigentlich Frauen-Darsteller, denn nur eine Frau hätte Verwendung für einen Penisersatz.“

Hier lacht man erst mal auf, freut sich über die Vertracktheit des Ganzen und weiß nun endlich, dass Männer im doppelten Sinne die Väter der Klamotte sind. Erstens nämlich der Mode, und zweitens des Klamauks namens „Wir spielen Mann und Frau“.

Im zweiten Teil, „Freud's Baby“, treiben Meinecke und Move D dieses Spiel dann auf die Spitze. Hier spüren die Texte den Konstruktionsweisen des „jüdischen Mannes“ nach. Neben dem theoretischen Material spielt die „meschuggene“ (Meinecke) Brieffreundschaft zwischen Sigmund Freud und dem Berliner Arzt Wilhelm Fließ eine tragende Rolle. Auch hier verschränken sich wieder komplizierte theoretische Zusammenhänge mit überraschenden historischen Daten, bis Freud im Traum ein Kind von Fließ gebärt.

Auf „Tomboy/Freud's Baby“ werden Sphären geschaffen, die außerhalb des so genannten Selbstverständlichen liegen: Was im Roman „Tomboy“ noch schwarz auf weiß vor einem lag, multipliziert sich auf dieser CD mit Sound und gesprochenem Wort. Meineckes Gegenentwurf zum raunenden „Das ist halt so“ im Gerede über Männer und Frauen kriegt so noch mehr Raum, sich breit zu machen.

Thomas Meinecke/Move D: „Tomboy/ Freud's Baby“, erschienen auf Intermedium Records/Indigo