Grüner Parteiauftrag: Basis kraulen

Warum inzwischen auch die Parteispitze erbost auf Rezzo Schlauch reagiert? Es geht um mehr als die persönliche Rivalität zwischen dem Fraktionsvorsitzenden und Parteichef Fritz Kuhn: eine Basis-Kuschelstrategie für den Wahlkampf 2002

von PATRIK SCHWARZ

„Alle Spekulationen um Rücktritte hält der Bundesvorstand für albern“, sagt Grünen-Chef Fritz Kuhn, „die Freundschaft zwischen Rezzo und mir steht nicht in Frage.“ Beide Beschwichtigungen können kaum den Nachhall der Ohrfeige dämpfen, die der Bundesvorstand gerade Fraktionschef Rezzo Schlauch verpasst hat. Eine ganze Seite ist dem einstimmigen Beschluss gewidmet, der Schlauchs Vorstoß verurteilt, in Not geratenen Betrieben die Bezahlung unter Tarif zu ermöglichen. Kuhn mag zwar kein „Konkurrenzverhältnis“ zu dem anderen Schwaben von Gewicht in der Partei erkennen, seine eigene Kandidatur für Schlauchs Posten im Jahr 2002 aber auch nicht ausschließen.

Die Rivalität der beiden ist für den Tarif-Krach allerdings nur von untergeordneter Bedeutung. Aus Sicht der Parteispitze hat der Fraktionsvorsitzende nicht weniger getan, als den Kurs zum Wahlsieg 2002 zu gefährden. Unter Kuhn und Renate Künast will sich die Partei auf ihre Stammwählerschaft konzentrieren. Alle Experten taxieren die Grünen auf 6 bis 7 Prozent. „Darüber kurzfristig hinauszukommen ist unrealistisch“, sagt auch Bundesgeschäftsführer Reinhard Bütikofer. Umso wichtiger ist es der Parteiführung, Irritationen à la Schlauch zu vermeiden.

Dazu setzt die Partei auf eine Methode, die schon Gerhard Schröder den Sozialdemokraten verordnete: den Schulterschluss. Weil das gar zu proletarisch klingt, spricht man in der grünen Bundesgeschäftsstelle lieber von „Message Management“: „Eine Zeit lang war üblich, dass die Fraktion sich nicht darum kümmerte, was die Partei gerade beschlossen hatte“, moniert Bütikofer, „da wird jetzt einiges vom Kopf auf die Füße gestellt.“ Zu den Projekten, die gemeinsam vorangetrieben werden sollen, gehört unter anderem die Annäherung an die Gewerkschaften, die nun auf Schlauchs Vorstoß verärgert reagieren. Der grüne Vorstandsbeschluss vom Montag liest sich daher wie eine Entschuldigung in ihre Richtung.

Wer wie Schlauch aus der Reihe tanzt, gefährdet nach Überzeugung der Strategen in der Parteizentrale die große Chance der Grünen: Dass ihre Wähler nach der Hälfte der Legislaturperiode zufrieden sind mit dem Erreichten. Bleibt nur noch, der Basis diese Überzeugung nahe zu bringen. Dazu hat etwa Ludger Volmer, Joschka Fischers Juniorminister im Auswärtigen Amt, an die Parteibasis einen Brief verschickt, der mit einem entnervten Ausruf beginnt: „Was ist denn überhaupt ‚grün‘ an der Außenpolitik – wie oft bekommt man diese Frage zu hören!“

Aus der Beschwörung bisheriger Erfolge spricht der Zweifel, wie groß die Fortschritte sind, die Rot-Grün noch erzielen kann. Es bleiben nur noch zwei Jahre minus Wahlkampf – und ein Koalitionspartner, der seiner Traditions-Klientel keine großen Veränderungen mehr zumuten möchte. So setzen auch die Grünen vorsichtshalber die Erwartungen herunter und äußern sich demonstrativ friedlich zur SPD, gegen die sie sich vor kurzem noch profilieren wollte. Politische Initiativen müssten „gut für die Grünen sein, aber auch gut für die rot-grüne Koalition“, verkündete Kuhn gestern.

Nettigkeiten gibt’s inzwischen sogar für Gerhard Schröder, der den Grünen oft als Opportunist galt. „Einen Kanzler zu haben, der den Fuß zurückzieht, wenn’s ein bisschen tief wird, ist nicht das Schlechteste“, lobt Bütikofer. Den wohlwollenden Blick auf Schröders Pragmatismus verdankt der grüne Generalsekretär einem anderen reformorientierten Kollegen. Von Deng Xiaoping, einst Generalsekretär der chinesischen KP, hat Bütikofer sich den Satz gemerkt: „Reformpolitik ist wie mit verbundenen Augen durch eine Furt zu waten.“