Am Scheideweg zwischen Demokratie und Diktatur

Jeder fünfte Wähler hat für den Nationalisten Vadim Tudor gestimmt. Wollen die Rumänen endlich den starken Mann?

BUKAREST taz ■ Plötzlich brennen in der Zentrale der Romania Mare die Sicherungen durch. Es ist stockfinster in der großen Villa der Großrumänien-Partei. „Das ist das Schicksal, das auf Rumänien wartet, wenn Tudor an die Macht kommt“, flüstert ein Kollege. Die meisten, die gekommen sind, um dem Führer der nationalistischen Romania Mare zu seinem Wahlergebnis zu gratulieren, sehen nicht aus, als gehörten sie zum Lumpenproletariat, für das sich Corneliu Vadim Tudor nach eigener Aussage stark machen will. Viele sind auffällig ausgesucht gekleidet.

Viele junge Leute sind gekommen. Zwei diskutieren das Wahlergebnis: „Im Westen haben sie uns behandelt wie den letzten Dreck. Jetzt zeigen wir ihnen, wer wir sind“, sagt der eine. Der andere pflichtet ihm bei. Es bleibt unklar, ob sie mit dem letzten Dreck ihre Partei oder das ganze Land meinen. Wohl beides.

Nachdem die ersten Umfragen im Fernsehen verkündet sind, tritt der Führer mit pathetisch-eiserner Miene vor seine Anhänger. Sie klatschen ehrfürchtig.

Tudor und seine Genossen haben sich in den letzten Wochen demokratisch gegeben. Sie achteten akribisch darauf, dass ihnen nicht nachgesagt werden kann, sie seien Extremisten oder Rassisten. Tudor selbst dementiert frühere Aussagen oder streitet sie einfach ab: Dass er eine Militärdiktatur einführen, Ghettos und Arbeitslager für Roma schaffen, jüdische Blutsauger und ungarische Politiker einkerkern, öffentliche Hinrichtungen vornehmen lassen will. Doch seine Anhänger und Wähler haben die jahrelange antieuropäische, rassistische, antisemitische und xenophobe Hetze, an die Tudor sich nicht mehr erinnern will, wohl verstanden.

Corneliu Vadim Tudor und seine Partei haben nach vorläufigen Auswertungen die höchste Anzahl der Jungwähler und eine beträchtliche Anzahl Wähler mit mittlerer und höherer Schulbildung. Sie liegen in den bisher als am europäischsten geltenden Kreisen auf Platz eins, so im westrumänischen Temeswar, wo 1989 der Aufstand gegen den Diktator Ceaușescu begann.

Wollen die Wähler endlich den starken Mann? Ist das das Erbe des Diktators Ceaușescu, dessen primitiver Rumänozentrismus und Nationalismus das Land in drei Jahrzehnten bis in den letzten Winkel durchdrungen hat? Sind es die Demütigungen, die die Rumänen vor den Botschaften westlicher Länder erfahren, vor denen sie wie Tiere behandelt werden, in denen sie – oft vergeblich – um Visa betteln? Ihre Resignation gegenüber der EU? Der uferlose Populismus, der unaufhörliche nationalistische Diskurs rumänischer Politiker, die jahrelange Verharmlosung der Großrumänien-Partei und ihres Führers?

Kaum ein rumänischer Politiker will sich am Wahlabend diese Fragen stellen und wahrhaben, dass zwischen Demokratie und Diktatur nur wenige Prozentpunkte liegen. Der Noch-Justizminister Valeriu Stoica weist jede Mitveranwortung seiner Partei, der Nationalliberalen, und der bisherigen Regierungskoalition empört zurück. Er empfiehlt lediglich, in der Stichwahl nicht für Extremisten zu stimmen. Nur György Frunda, der Kandidat der Organisation der ungarischen Minderheit (UDMR), drückt sich klar aus: „Es ist egal, wer Präsident wird, wenn er nur nicht Tudor heißt.“

Bei Exstaatspräsident Ion Iliescu und seiner Partei der Sozialen Demokratie unterdessen wird am Wahlabend gefeiert – auch der Sieg Iliescus, der noch längst nicht klar ist. Hunderte Menschen drängen in die riesige Villa gegenüber der russischen Botschaft. Unternehmer, Beamte aus dem Staats- und Verwaltungsapparat, Betriebsdirektoren, die sich des Wohlwollens der neuen Machthaber versichern wollen. Überall hängen blaue Europafahnen. Der amerikanische Botschafter schaut spät am Abend zu einem dringenden Treffen mit Ion Iliescu herein und lässt sich versichern, dass dieser und seine Partei nicht mit Tudor zusammenarbeiten werden.

Parteisprecher Dan Matei Agathon, ein junger, weltoffener Mann, zählt die Maßnahmen auf, die die künftige Regierung zuerst ergreifen will. Und er spricht dabei die ganze Zeit vom „Kabinett Nastase“, denn der stellvertretende Parteichef Adrian Nastase soll Regierungschef werden. Agathon lächelt, als könne nichts mehr dazwischenkommen: „Es wird maximal ein, zwei Jahre dauern, dann ist die Großrumänien-Partei wieder dort, wo sie vor vier Jahren war, als wir abgewählt wurden – bei fünf Prozent.“ KV