DAIMLERCHRYSLER-BOSS SCHREMPP OHNE RÜCKSICHT AUF VERLUSTE
: Sich selbst überrannt

Es war an einem Sommerabend, irgendwo im Schwäbischen. Die Feiergäste hatten schon etwas getrunken und Jürgen Schrempp war bestens gelaunt. Der DaimlerChrysler-Boss, das Rotweinglas in der Hand, stimmte lautfröhlich das Panzerlied an: „Ob’s stürmt oder schneit, ob die Sonne uns lacht ...“ Immer vorwärts, immer draufhalten, immer angreifen. Entzückt klatschte die Runde in die Hände, so war er eben, der Draufgänger, der Zupacker, der „Rambo“ vom Nesenbach. Da war der DaimlerChrysler-Deal gerade unter Dach und Fach, der bis dahin größte Firmen-Zusammenschluss der Welt.

So einen Coup hätte man seinem Vorgänger Edzard Reuter, dem Nachdenklichen, Zögerlichen, dem Feingeist niemals zugetraut. Der war gegangen worden, weil er aus der Stuttgarter Autoschmiede ein Multikulti-Unternehmen gemacht hatte, das vom Telefonservice bis zum elektrischen Eierkocher seine Gemischtwaren anbot. Sehr zum Ärger der Aktionäre, die von der Konzernleitung mehr Gewinne einforderten. Sie feierten den Wechsel von Reuter zu Schrempp wie den Aufbruch in eine neue Zeit.

Mit „Mister Sharehoulder-Value“ an der Spitze stürmte die Daimler-Aktie auch tatsächlich am Anfang von Erfolg zu Erfolg. Kurz nach der Fusion mit Chrysler lag sie bei knapp 110 Euro. Heute muss man die Kellerluken an der Börse öffnen, um sie noch zu finden. Aktueller Stand: 47,29 Euro.

Die massiven Probleme des US-Automobilherstellers hat Schrempp entweder nicht gekannt (unwahrscheinlich) oder verschwiegen (wahrscheinlich). Erst als die Absatzmisere der Chrysler-Modelle nicht mehr zu leugnen war, handelte Schrempp, wie man es nicht anders von ihm erwartet hätte: Er schmiss Chrysler-Chef Jim Holden hinaus und ersetzte ihn durch den Deutschen Dieter Zetsche. Vielleicht war die Entscheidung ja sogar wirtschaftlich richtig. Einfühlsam war es nicht, überhaupt ist Einfühlen ein Wort, das Schrempps Wesen so fremd ist wie einem Blindfisch das Licht. Die Amerikaner wehren sich gegen die „Vereinnahmung“, die Klage von Kirk Kerkorian auf Schadensersatz ist zwar juristisch wenig von Belang, aber sie sagt viel über die Stimmung in Detroit. Man fühlt sich von Schrempp und Co. über den Tisch gezogen. Panzerfreund Schrempp hatte, um in seinen Bildern zu sprechen, vergessen, den Haupttross nachrücken zu lassen. Er hat sich selbst überrannt. Schrempp war gut für den Coup. Doch um den langen Prozess des Zusammenschlusses wirklich fair zu vollziehen, ist er der falsche Mann.

PHILIPP MAUSSHARDT